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2. Die diplomatische Ebene 167
am 20. Jänner 1946 ab.42 Kiselev, der 1938 in den diplomatischen Dienst ge-
treten war, genoss das Vertrauen Vyšinskijs:43 Er übte von 1943 bis 1945 das
Amt des Generalkonsuls in New York aus – ein Posten, den sowjetische Di-
plomaten nur erhielten, wenn sie das besondere Wohlwollen führender poli-
tischer Entscheidungsträger genossen. Von April bis Mai 1945 fungierte er als
Politberater der 2. Weißrussischen Front unter Marschall Konstantin K. Ro-
kossovskij in Stettin, bevor er im Rang eines Gesandten nach Wien kam. Als
Politberater in Österreich erhielt er in heiklen Fragen „bindende Weisungen“
von Vyšinskij.44 Im Rahmen seiner Tätigkeit bei der SČSK tauschte sich Ki-
selev von Anfang an mit dem Leiter der 3. Europäischen Abteilung Smirnov
aus. Smirnov ließ Kiselev etwa das Protokoll der 1. Sitzung des alliierten Kon-
trollrates in Deutschland übermitteln, damit sich dieser mit der „Arbeitspra-
xis des alliierten Kontrollmechanismus in Deutschland“ vertraut machen
konnte. Umgekehrt erbat Vyšinskij die Übersendung „analoger Unterlagen“
aus Österreich, da diese für die 3. Europäische Abteilung „nützlich“ wären.45
Neben Kiselevs Funktion als Politberater in der Alliierten Kommission er-
folgte 1946 seine zusätzliche Ernennung zum politischen Vertreter der UdSSR
bei der österreichischen Regierung. Allein diese Doppelfunktion verweist auf
sein hohes Ansehen im Moskauer Zentrum. Nach seiner dreijährigen Funk-
tion als Politberater berief ihn das Außenministerium von 1948 bis 1949, als
die sowjetisch-jugoslawischen Beziehungen eine Zuspitzung erfuhren, zum
Leiter der Abteilung für die Balkanländer im MID. Die „Säuberungen“ in den
Reihen des Außenministeriums 1952 und 1955 bis 1956 überstand Kiselev un-
beschadet: Von 1949 bis 1954 war er Botschafter in Budapest und ab 1955 Bot-
schafter in mehreren arabischen Ländern. Als Krönung seiner Karriere übte
er von 1962 bis zu seinem Tod 1963 das Amt des stellvertretenden UNO-Ge-
42 RGASPI, F. 17, op. 3, d. 1056, S. 3, Politbürobeschluss des ZK der VKP(b) P 49 (2), Über die Bestel-
lung Kiselevs zum Politberater in Wien, 20.1.1946.
43 Vyšinkskij schlug Kiselev Ende April dem ZK der KPdSU als Politberater für Österreich vor, ver-
merkte aber zugleich in einer Randbemerkung an Ivan M. Lavrov, dem Assistenten des Leiters der
3. Europäischen Abteilung: „Einstweilen schlage ich vor, Genossen Kiselev nicht nach Österreich
zu entsenden.“ AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118, d. 2, S. 1, Schreiben Vyšinskijs an Malenkov über die
Bestellung Kiselevs zum Politberater in Österreich und Koptelovs zu dessen Stellvertreter [April
1945].
44 Der Mitarbeiter der 3. Europäischen Abteilung des NKID, E. Egoškin, teilte beispielsweise Smirnov
mit, Kiselev habe im Zusammenhang mit den politischen Parteien Österreichs von Vyšinskij bin-
dende Weisungen erhalten. Vgl. AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 2, S. 68f., Mitteilung von Egoškin
an Smirnov über ein Gespräch mit Kiselev betreffend die Regierungserklärung der Regierung Figl,
22.12.1945. Abgedruckt in: Karner – Stelzl-Marx – Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dok.
Nr. 139.
45 AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 2, S. 18, Schreiben von Smirnov an Kiselev zur Übersendung von
Sitzungsprotokollen der Alliierten Kommissionen in Österreich und Deutschland, [9.8.1945].
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Stalins Soldaten in Österreich
- Subtitle
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Author
- Barbara Stelzl-Marx
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 874
- Categories
- Geschichte Nach 1918