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3. Die militärische Ebene: Armee und Kommandanturen 179
3.2.1 „Versuchungen des Lebens“
Erst am 20. April 1945 erließen Tolbuchin und Želtov eine „Provisorische Ver-
ordnung über die Militärkommandanturen auf dem von der 3. Ukrainischen
Front eingenommenen Gebiet Österreichs“, worin sie unter Bezugnahme
auf die Befehle Nr. 1 und 2 deren Rechte und Pflichten festlegten.102 Im Ge-
gensatz zur „Verordnung über die Militärkommandanturen auf dem Gebiet
Ungarns“ wurde hier ausdrücklich betont, dass die Kommandanten in Öster-
reich keine sowjetische Ordnung einführen würden.103
Neben der Erfassung der politischen und wirtschaftlichen Lage in Öster-
reich waren die Kommandanturen unter anderem für die Rückführung von
Repatrianten, die Erfassung der Bevölkerung, die Einführung von Passier-
scheinen, aber auch für die Kontrolle der Angehörigen der Roten Armee in
ihrem Einzugsbereich zuständig. In jeder Kommandantur war ein Gefängnis
für inhaftierte Rotarmisten einzurichten, die man als Spione, Deserteure, Ma-
rodeure und „ähnliche verbrecherische Elemente“ ausgeforscht hatte. An den
Kommandanten persönlich richtete sich abschließend der Appell: „Er muss
den Versuchungen des Lebens widerstehen, wachsam und stets aufmerksam
sein, sich in gebührender Weise benehmen sowie allzeit daran denken, dass
er ein Repräsentant der Roten Armee der Großen Sowjetunion ist.“104 Die
NKVD-Truppen wiederum kontrollierten, ob sich die Kommandanten selbst
nicht an Beutegut bereicherten.105
102 CAMO, F. 243, op. 2922, d. 49, S. 168–177, Provisorische Verordnung über die Militärkommandan-
turen auf dem von der 3. Ukrainischen Front eingenommenen Gebiet Österreichs, 20.4.1945. Ab-
gedruckt in: Karner – Stelzl-Marx – Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dok. Nr. 59. Mit
abweichender Übersetzung in: Wagner, Die Besatzungszeit aus sowjetischer Sicht, S. 139–146. Vgl.
dazu auch: Knoll – Stelzl-Marx, Der Sowjetische Teil der Alliierten Kommission, S. 210f.
103 Dieser Passus fehlte in der Verordnung über die Militärkommandanturen in Ungarn. Vgl. RGVA, F.
32948, op. 1, d. 21, S. 56f., Verordnung über die Militärkommandanturen auf dem Gebiet Ungarns,
vor dem 25.1.1945; RGVA, F. 32948, op. 1, d. 21, S. 58f., Beschluss Nr. 4 des Militärrates der 2. Ukra-
inischen Front, Über die Bestätigung der „Verordnung über die Militärkommandanturen auf dem
Gebiet Ungarns“, 25.1.1945. Der größte Unterschied zu Österreich bestand jedoch darin, dass die
sowjetischen Militärkommandanten in Ungarn nicht dem Militärrat der Front, sondern dem Chef
der NKVD-Truppen zum Schutz des Fronthinterlandes der 2. Ukrainischen Front unterstellt waren.
Die Militärkommandanten hatten jedoch ihre Berichte an den Militärrat der Front zu richten.
104 CAMO, F. 243, op. 2922, d. 49, S. 168–177, Provisorische Verordnung über die Militärkommandan-
turen auf dem von der 3. Ukrainischen Front eingenommenen Gebiet Österreichs, 20.4.1945. Abge-
druckt in: Karner – Stelzl-Marx – Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dok. Nr. 59.
105 RGVA, F. 32914, op. 1, d. 8, S. 192–194, Befehl des Stabes der NKVD-Truppen für die Bewachung
der 3. Ukrainischen Front, 17.4.1945.
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Stalins Soldaten in Österreich
- Subtitle
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Author
- Barbara Stelzl-Marx
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 874
- Categories
- Geschichte Nach 1918