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III. Der sowjetische Besatzungsapparat: Struktur und
Funktion276
Teilweise jedoch – wie etwa in der Steiermark – dürften die Beschlüsse erst
im Nachhinein unterzeichnet worden sein. So erging am 28. Juli 1945 der von
Stalin gezeichnete GOKO-Befehl an das Volkskommissariat für Munition,
„die Anlagen der Werkshallen für die Herstellung von Führungs-Geschütz-
hülsen aus Eisenpulver der Firma ‚Vogel und Noot, Pengg-Bührlen‘ in Mit-
terdorf mit einem Bestand von 120 Maschinensätzen, darunter: 50 Mühlen, 45
Hydraulikpressen mit einer Kapazität von 60 bis 300 Tonnen, 42 Elektroöfen,
20 Werkbänke zur Metallverarbeitung, die technische Dokumentation und
die Ausstattung des Werkslaboratoriums“ zu demontieren und in die Ost-
ukraine zu verbringen.487 Zum Zeitpunkt des Befehls befand sich die Steier-
mark jedoch bereits unter britischer Besatzung. Die Demontagen im Eisen-
werk waren schon zuvor (vor dem 24. Juli) erfolgt.488
Nach sowjetischen Angaben ließ Stalin in Österreich insgesamt 220 Betrie-
be (über 31.000 Waggonladungen) vollständig bzw. teilweise abmontieren.
Bis zum Frühjahr 1946, als die Demontagen in Österreich abgeschlossen wa-
ren, wurden 71.500 Ausrüstungseinheiten wie Elektromotoren, Schmiede-
einrichtungen und Walzstraßen sowie beinahe 7.200 Waggons an beschlag-
nahmten Materialien wie Schwarzmetallen und Papier ausgeführt. Dies
entsprach zwar nur einem Bruchteil dessen, was etwa in Polen oder Deutsch-
land demontiert wurde, war jedoch immerhin weit mehr als der Umfang
sow
jetischer Demontagen in Ungarn und der Tschechoslowakei.489
Der Gesamtwert der 1945 durch die sowjetische Besatzungsmacht demon-
tierten Anlagen wird auf mehr als 300 Millionen Dollar geschätzt,490 wobei
interne sowjetische Angaben weit darunter lagen.491 Doch erwies sich der
Nutzen für die Sowjetwirtschaft als geringer als erwartet: Durch zum Teil un-
sachgemäße Handhabung entstand mitunter schwerer Sachschaden. Die De-
487 RGASPI, F. 644, op. 1, d. 444, S. 1f., GOKO-Befehl Nr. 958ss über Demontagen in Mitterdorf, Knit-
telfeld und Graz, 28.7.1945. Abgedruckt in: Karner – Pickl, Die Rote Armee in der Steiermark, Dok.
Nr. 123. Zu den Demontagen in der Steiermark vgl. Stefan Karner, Sowjetische Demontagen in der
Steiermark 1945, in: Historische Landeskommission für Steiermark – Historischer Verein für Stei-
ermark (Hg.), Rutengänge. Studien zur geschichtlichen Landeskunde. Festgabe für Walter Brunner
zum 70. Geburtstag. Graz 2010, S. 656–674.
488 Hierbei handelte es sich um das Eisenwerk Breitenfeld, das im Jahr 1942 durch die Firmen Joh.
Pengg und Vogel & Noot AG gegründet worden war. Die vier Geschäftsführer waren: Dipl.-Ing.
Hans v. Pengg, Dipl.-Ing. Hermann Bührlen, Dr. Hugo v. Noot und Dr. Dipl.-Ing. Josef Ritter. Jo-
hann Pengg war zwar mit Dorothea Bührlen verheiratet und deren Bruder Hermann Bührlen mit
Johann Penggs Schwester Margarethe, doch gab es zu dieser Zeit nicht den im Dokument verwen-
deten Doppelnamen „Pengg-Bührlen“. Vgl. Vinzenz Pengg-Bührlen, Freundliche Auskunft an Bar-
bara Stelzl-Marx. Wien 12.8.2006. Zu den Demontagen in Breitenfeld vgl. Karner, Die Steiermark im
20. Jahrhundert, S. 322.
489 Musial, Stalins Beutezug, S. 313, 337.
490 Seidel, Österreichs Wirtschaft, S. 470.
491 Musial, Stalins Beutezug, S. 313f.
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Stalins Soldaten in Österreich
- Subtitle
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Author
- Barbara Stelzl-Marx
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 874
- Categories
- Geschichte Nach 1918