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6. Das Wirtschaftsimperium 277
montagen nahmen ab, als die Sowjets zur systematischen Beschlagnahmung
des „Deutschen Eigentums“ übergingen.492 Zu diesem Zeitpunkt hatte die
Rote Armee jedoch bereits Tausende Waggons mit Maschinen und Vorräten
als „Beutegut“ aus dem von ihr besetzten Teil Österreichs abtransportiert –
auch aus jenen Gebieten, die sie wenig später aufgrund des Zonenabkom-
mens räumen musste.493
6.3 Sowjetisches Wirtschaftsimperium: SMV, DDSG, USIA
Auf der Konferenz von Potsdam vom 17. Juli bis zum 2. August 1945 zur
Festlegung einer Nachkriegsordnung trafen die USA, Großbritannien und die
UdSSR die folgenschwere Entscheidung, dass Deutschland für die Schäden
des Zweiten Weltkrieges Kriegsentschädigung zu leisten hatte – wozu auch
das deutsche Auslandsvermögen als Reparationen beansprucht wurde. Die
Sowjetunion verzichtete auf „Deutsches Eigentum“ in den westlichen Besat-
zungszonen Deutschlands. Im Gegenzug verzichteten die USA und Groß-
britannien auf die deutschen Vermögenswerte in der Ostzone Deutschlands
sowie auf das „Deutsche Eigentum“ in der sowjetischen Besatzungszone Ös-
terreichs, in Bulgarien, Finnland, Ungarn und Rumänien.494 Doch war Öster-
reich durch seine engen wirtschaftlichen Verflechtungen mit Deutschland seit
dem Ersten Weltkrieg und seit dem „Anschluss“ 1938 durch diese Regelung
besonders betroffen, obwohl für Österreich selbst definitiv keine Reparations-
zahlungen vorgesehen waren.495
Mit dem Potsdamer Abkommen änderte die Sowjetunion allmählich ihre
Wirtschaftsstrategie: Statt Anlagen zu demontieren ging sie nun dazu über,
die laufende Produktion jener Firmen in Ostösterreich zu nutzen, die sie als
„Deutsches Eigentum“ und in der Folge als nunmehr sowjetisches Eigentum
ansah. Insofern bestand formal kein Widerspruch zur Aussage, Österreich
habe keine Reparationen zu leisten. Zunächst schlug Moskau Ende August
1945 Österreich vor, eine gemeinsame sowjetisch-österreichische Erdölgesell-
schaft mit dem Namen SANAPHTA zu gründen – ähnlich wie in Rumänien
und später in Ungarn. Die provisorische Staatsregierung lehnte allerdings im
492 Otto Klambauer, Staat im Staate: Sowjetisches Vermögen in Österreich 1945–1955, in: Stefan Karner
– Gottfried Stangler (Hg.), „Österreich ist frei!“ Der Österreichische Staatsvertrag 1955. Beitrags-
band zur Ausstellung auf Schloss Schallaburg 2005. Unter Mitarbeit von Peter Fritz und Walter M.
Iber. Horn – Wien 2005, S. 182–187, hier: S. 182.
493 Aus sowjetischer Sicht stellte Beutegut keine Reparation dar. Der Unterschied bestand jedoch le-
diglich darin, dass die Besatzungsmacht auf Beutegüter bereits vor den Potsdamer Reparationsbe-
schlüssen zugegriffen hatte. Vgl. Seidel, Österreichs Wirtschaft und Wirtschaftspolitik, S. 392f.
494 Ebd., S. 343.
495 Klambauer, Staat im Staate, S. 182.
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Stalins Soldaten in Österreich
- Subtitle
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Author
- Barbara Stelzl-Marx
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 874
- Categories
- Geschichte Nach 1918