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III. Der sowjetische Besatzungsapparat: Struktur und
Funktion288
5. Rückgang der Fertigungsproduktion, Degradierung zum Rohstofflieferan-
ten an die Westmächte;
6. überhöhte Preise von ERP-Importen, die billiger aus dem osteuropäischen
Raum bezogen werden könnten;
7. Unmöglichkeit der Anhebung der Rationen für Normalverbraucher als
unmittelbare Folge der teuren Nahrungsmittelimporte aus Übersee;
8. ungenügende Dollarzuteilung als Unzulänglichkeit der Hilfe.539
Ebenso intensiv, wie die unterschiedlichen Propagandaorgane gegen den
Marshallplan wetterten, hoben sie die Errungenschaften des sowjetischen
Wirtschaftsimperiums und die großen Vorteile für die hier arbeitenden Men-
schen hervor. In internen Berichten mussten die sowjetischen Stellen jedoch
selbst eingestehen, dass vieles im Argen lag und dies die „Effizienz der von
demokratischen [kommunistischen] Organisationen durchgeführten Maß-
nahmen“ verwässerte. So bildete der schlechte Zustand zahlreicher der USIA
gehörender Immobilien „den Grund für ständige Anschuldigungen, die von
reaktionären Elementen an die Adresse der USIA und der KPÖ vorgebracht
werden“.540 Nach außen hin war von dieser – berechtigten – Kritik nichts zu
hören. Umso empfindlicher reagierte die sowjetische Besatzungsmacht, wenn
Angriffe auf ihr Wirtschaftssystem erfolgten. Gegenschläge auf das Feindbild
des Marshallplans als Symbol des kapitalistischen Imperialismus waren so-
mit vorprogrammiert.
Trotz des sowjetischen Protests wurde Österreich das einzige Empfän-
gerland von Marshallplanhilfe, das teilweise unter sowjetischer Besatzung
stand.541 Zwar flossen 81 Prozent der ERP-Mittel in die Westzone, doch soll-
ten durch die Einbeziehung von Wien, Niederösterreich und dem Burgen-
land sowohl ein allzu großes Auseinanderdriften von West- und Ostöster-
reich in wirtschaftlicher Hinsicht als auch eine soziale Spaltung des Landes
verhindert werden.542 Allerdings trug nicht zuletzt der Marshallplan zur re-
539 Mähr, Der Marshall-Plan in Österreich, S. 108–110.
540 RGANI, F. 5, op. 28, d. 224, S. 70–78, hier: S. 75f., Bericht des Leiters der Abteilung für innenpoliti-
sche Fragen des Apparates des Hochkommissars, A. G. Kolobov, über die politische Arbeit in den
USIA- und SMV-Betrieben [spätestens am 9.6.1954]. Abgedruckt in: Karner – Stelzl-Marx – Tschu-
barjan, Die Rote Armee in Österreich, Dok. Nr. 113.
541 Ferdinand Lacina, Der Marshall-Plan – Ein Beitrag zur Übergangswirtschaft Österreichs, in: Gün-
ter Bischof – Dieter Stiefel (Hg.), „80 Dollar“. 50 Jahre ERP-Fonds und Marshall-Plan in Österreich
1948–1998, S. 17–20, hier: S. 17f.
542 Klaus Eisterer, Österreich unter alliierter Besatzung 1945–1955, in: Rolf Steininger – Michael Gehler
(Hg.), Österreich im 20. Jahrhundert. Ein Studienbuch in zwei Bänden. Vom Weltkrieg bis zur Ge-
genwart. Bd. 2. Wien – Köln – Weimar 1997, S. 147–216, hier: S. 162; Andrea Komlosy, The Marshall
Plan and the Making of the „Iron Curtain“ in Austria, in: Günter Bischof – Anton Pelinka – Dieter
Stiefel (Hg.), The Marshall Plan in Austria. Contemporary Austrian Studies. Bd. 8. New Brunswick
– New Jersey 2000, S. 98–137, hier: S. 119f.
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Stalins Soldaten in Österreich
- Subtitle
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Author
- Barbara Stelzl-Marx
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 874
- Categories
- Geschichte Nach 1918