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46 Tagebücher
Bewilligung einer nationalgarde, und um das Wort national und um deren
Auflösbarkeit oder nicht wurde bis 1 uhr gefeilscht, während draußen die
stimmung immer drohender wurde, und das volk sich schon kaum mehr
abhalten ließ, die Burg zu stürmen. Windischgrätz wollte die Bürger persua-
diren, daß das Wort nationalgarde nur für révoltirte passe, sie aber seyen
loyale Bürger. er, hoyos, inzaghy etc. waren die organe, welche zwischen
den Bürgern und den erzherzogen hin und hergingen. tropfenweise ließen
sich diese das Begehrte abtrotzen, und ich bewunderte den guten sinn und
die geduld der Bürger. endlich gegen 1 uhr trat hoyos aus dem vorzimmer
des kaisers, wohin Alle gedrungen waren, heraus und verlas uns die Aller-
höchste genehmigung der nationalgarde und seine ernennung zu ihrem
chef, großer Jubel, unendliche lebehoch, es war ein ergreifender moment,
an denen es überhaupt in diesen tagen nicht gefehlt hat.
um 3 uhr zeichnete man sich auf der kaiserlichen reitschule zur na-
tionalgarde ein, dort war wieder eine masse menschen, die Aufregung war
trotz jener concession sehr gestiegen. die ernennung des sehr unpopulä-
ren fürsten Windischgrätz zum civil- und militärchef von Wien (erzherzog
Albrecht, auf den sich eine furchtbare Animosität und verantwortlichkeit
concentrirt, wegen des feuerns, ist verschollen, hat seine Wohnung mit frau
und hofstaat verlassen und sich in die Burg geflüchtet) war großentheils
schuld daran. dieser unglücklichen ernennung lag die noch unglücklichere
idee zum grunde, Wien in Belagerungsstand zu erklären, eine idee, welche
glücklicherweise wieder aufgegeben, aber dennoch ins Publicum gedrungen
und ungeschickterweise nicht désavouirt worden ist. Weiters hatte sich das
gerücht verbreitet, mit der Preßfreyheit, von welcher es früher geheißen
hatte, sie sey bewilligt, sey es nichts. in der reitschule gab es daher wieder
reden, deputationen etc. ohne ende, alle Augenblicke erschien eine solche
mit weißen schärpen (die weißen Bänder sind überhaupt das allgemeine Ab-
zeichen der fortschrittsfreunde, und wir tragen Alle solche), stiegen auf ei-
nen tisch, hielten lange reden etc. endlich um 5 kam hoyos vom kaiser und
las ein handbillet vor, worin Aufhebung der censur und ein Preßgesetz ver-
kündet wird. darüber entsetzlicher Jubel, überall weiße fahnen mit: „Preß-
freiheit“, die statue kaiser Josephs mit einer solchen geschmückt, lebehoch,
geschrey etc.
mittlerweilen waren aus den vorstädten und der umgegend nachricht
auf nachricht von schauderhaften excessen eingelangt, welche der Pöbel
dort verübte, es wurde geraubt, gemordet, fabriken niedergebrannt etc. das
militär konnte oder wollte keinen mann dahin abgeben, sondern stand auf
dem glacis. da that dann die neue nationalgarde gleich mit wahrem hel-
denmuthe (viele waren 24 stunden lang im dienste) ersprießliche dienste,
obwol sie leider doch nicht alle gräuel verhüten konnte.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume II
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- II
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 716
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien