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Mai 1848
ja sogar zu thätlichkeiten gekommen ist! nämlich Palacky. ich erfuhr diese
colossale dummheit durch louis Batthyány, heute früh ging ich zu Pillers-
dorf, der es mir bestätigte, ich erwiederte darauf, daß mir nun nichts übrig
bleibe, als entweder gar nicht nach frankfurt zu gehen und meine kolle-
gen öffentlich aufzufordern, ein gleiches zu thun, oder aber dort gleich im
voraus ein mißtrauensvotum gegen unsere jetzige regierung zu moviren, er
meinte, er hätte gedacht, dadurch den Böhmen einen Brocken vorzuwerfen,
worauf ich antwortete, die Zeit des temporisirens und lavirens sey vorbey,
man müsse alle nationalitäten achten und gleichstellen, zugleich aber ent-
schieden erklären, daß man von den zum deutschen Bunde gehörigen län-
dern nicht eine hand breit davon lostrennen lassen werde, nöthigenfalls um
Bundesassistenz ansuchen und Böhmen militärisch besetzen. übrigens dau-
ert einen der mann, denn er ist, seit er minister ist, physisch und moralisch
zu grunde gerichtet.
Zum glücke hat Palacky selbst den bon sens gehabt, seine ernennung
nicht anzunehmen, er schrieb diesen Abend (seit gestern Abend ist er, durch
eine telegraphische depêche zitirt, hier), er werde in dem cabinette, wie die
Parteyen jetzt stünden, weder vertrauen einflößen noch selbst eines fassen
können, und so wäre die sache abgethan, hätte sie nicht so geendet, so war
ich fest entschlossen, das ganze ministerium (was mir ein leichtes gewesen
wäre) zu stürzen und mich als der mann des Augenblickes hinzustellen. so
ungern ich dieses auch gethan hätte, so sah ich doch die nothwendigkeit
ein es zu thun, und nun, da ich der Aussicht, in einem solchen momente
minister zu werden, überhoben bin, ist mir ein stein vom herzen. von allen
seiten aber höre ich mich als solchen designiren, und die Wahrscheinlich-
keit, daß dieses binnen kurzem eintreten werde, rückt mir immer näher. na-
mentlich die ungarn (l. Batthyány, der einige tage hier war und mit seiner
gewöhnlichen eisernen hartnäckigkeit die gemessensten unterwerfungsbe-
fehle an Jellachich erwirkte,1 à la tête) drängen mich, ein neues ministerium
zu bilden, sie sind für unsern engen Anschluß an deutschland mehr als wir
selbst, weil sie unsere und deutschlands Allianz brauchen, um sich gegen
die immer drohender aufstehenden slaven zu schützen. dagegen verspre-
chen sie truppen, übernahme der staatssschuld und die donaumündungen.
Auch ich habe mich seit einigen tagen wieder mehr zur schwarzrothgolde-
nen Partey gewendet, seit die czechen so entschieden von trennung von
1 Auf Druck der ungarischen Regierung, ohne deren Zustimmung Graf Josef Jellačić im März
1848 zum Banus von kroatien ernannt worden war, und der am 19. April den Abbruch
der amtlichen Beziehungen mit ungarn bis zum Zusammentritt des kroatischen land-
tags angeordnet hatte, wurde am 6. mai die einsetzung eines königlichen kommissärs für
Kroatien beschlossen. Dies änderte jedoch nichts an der faktischen Herrschaft Jellačićs in
kroatien.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume II
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- II
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 716
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien