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Mai 1848
wurden mehrere wichtige Ausschüsse niedergesetzt, unter andern der wich-
tigste: der verfassungsausschuß, in welchen ich auch gewählt bin, heute
constituirten wir uns: Bassermann ist Präsident, max gagern stellvertreter
und droysen schriftführer.
die linke verharrt in ihrer taktik des überrumpelns und will ihre An-
träge immer gleich stante pede zur verhandlung bringen, was ihr aber fast
jedesmal mißlingt, so wollte sie gestern durchaus, wir sollten eine Auswei-
sung, welche der senat von frankfurt gegen 2 hauptaufwiegler der Arbei-
ter (Pelz und fröbel) erlassen hatte, annulliren! was aber an uns scheiterte,
man will uns mit gewalt dazu drängen, eine provisorische regierung zu
werden.
gestern sah es übrigens hier sehr kritisch aus, große Aufregung überall,
gruppen auf den straßen und redner, welche die unverschämtesten lügen
erzählen. 500 Arbeiter begleiteten die Ausgewiesenen feyerlich nach Bocken-
heim, wo diese herren einstweilen bleiben und dort ihre Arbeiterversamm-
lungen halten werden.
man muß von seiten der radicalen auf Alles gefaßt seyn, selbst auf ein
gewaltsames Attentat auf das Parlament, wenn sie einmal sehen, daß sie auf
legalem Wege nichts durchsetzen. dann gehen wir nach nürnberg. indessen
ist von unserer Partey ein Antrag gestellt worden, die in frankfurt und 4
meilen herum stehenden truppen in Pflicht für die nationalversammlung
zu nehmen, während von der linken eine motion auf entfernung aller trup-
pen gestellt wird.
es ist eine ungarische deputation (Pázmandy und szállay) hier angekom-
men, um mit dem reichstage zu unterhandeln, heute waren sie in der so-
crates loge. die nationalversammlung nahm die Ankündigung heute mit
großem Beyfall auf.
[frankfurt] 26. mai
heute war eine sehr interessante und aufgeregte sitzung. die commission
wegen der mainzer vorfälle erstattete nähmlich über die von den aus ihrer
mitte dahin abgesendeten 5 mitgliedern gepflogenen erhebungen Bericht
an die nationalversammlung, da zeigte sich dann, wie perfid und entstellt
der erste Bericht des herrn Zitz gewesen war. hierauf sprach schmerling in
sehr entschiedener klarer Weise, nur etwas zu lang, über die einigkeit Preu-
ßens und österreichs, und wies die perfide Art, in welcher durch absichtliche
lobeserhebungen der österreichischen soldaten Zwietracht zwischen uns
und die Preußen zu säen versucht werde, energisch ab. er sagte, wenn man
sich gegen die oesterreicher solche dinge erlaubt hätte, wie man es gegen
die Preußen that, so hätten die österreichischen soldaten ebenso gehandelt
wie diese, was meines erachtens besser ungesagt geblieben wäre. Jedoch
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume II
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- II
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 716
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien