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Tagebücher112
wollte, um zu hören, was es in frankfurt gebe, und mir sein glaubensbe-
kenntniß abzulegen, so ozeroff, camill lotzbeck, falkner, otterstedt, che-
lius, gayling etc.
Baden ist noch sehr leer, und man spricht auch dort, wenigstens gegen
mich, nur von Politik, wovon sollte man in dieser Zeit auch sonst sprechen?
schöner, herrlicher aber ist Baden als je, und diese anderthalb tage haben
mich wahrhaft erquickt, wiewohl die hitze fürcherlich war.
das ganze großherzogthum ist übrigens von der republikanischen Partey
beynahe hoffnungslos unterwühlt, die stimmung scheint wirklich beynahe
durchgehend gegen die monarchie zu seyn, denn die Anhänger derselben
sind auch dort, wie überall, lässig und furchtsam, während die radicalen
große thätigkeit entwickeln und fast die ganze Presse in ihren händen ha-
ben. darauf müssen wir unsern hauptaugenmerk richten, sonst gehen wir
zu grunde. ich hoffe übrigens, daß die französische republik, welche auf die
hiesige stimmung einen so verderblichen (und für das deutsche selbstgefühl
beschämenden) einfluß gehabt hat, sich nicht mehr lange halten wird. nach
Allem, was ich höre, wird sie an den finanziellen schwierigkeiten scheitern,
und die regierung ist dort gerade so ohnmächtig und jämmerlich wie bey
uns, daß in frankreich keine tausend menschen von herzen republikaner
sind, glaube ich noch immer behaupten zu können.
gestern um 3/4 8 verließ ich Baden und war um 3 uhr hier. ich fand
Briefe von Wien, wo ich schon wieder als minister genannt werde. Wessen-
berg formirt ein neues cabinett, auch franz stadion soll eintreten, letzteres
mißbillige ich höchlich. der kaiser hat ein sehr schönes manifest erlassen,
worin er die concessionen des 15. may bestätigt und die einberufung des
reichstages nach Wien (für den 26. ist er ausgeschrieben) von der Wieder-
herstellung eines geordneten Zustandes in dieser stadt abhängig macht. ob
unser, d.h. schmerlings und mein schreiben an erzherzog franz carl von
einfluß gewesen sind?
ich hatte gestern noch ein sehr angenehmes kleines diner bey gräfinn
Bergen mit schmerling und menshengen. Abends waren wir mit beyden ga-
gern bey koch, ziemlich langweilig.
die Pfingsttage sind trotz aller Anzeichen ruhig vorübergegangen, wie
es aber damit aussehen werde, wenn die centralgewalt zur verhandlung
kömmt (wahrscheinlich am montag den 19.), das weiß man nicht. Jedoch sind
alle Anstalten getroffen und truppen in masse in Bereitschaft. heute um 11
uhr haben wir wieder sitzung, und dann geht denn die Arbeit wieder an.
[frankfurt] 16. Juni Abends
in der vorgestrigen sitzung kam nicht viel Anderes vor, als daß zur Bildung
einer marine 6 millionen thaler bewilligt wurden, wobey die linke sich
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume II
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- II
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 716
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien