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Juni 1848
höchst ungeschickt benahm, weil nämlich im gesetzentwurfe der Bundestag
erwähnt wurde, welcher das geld beyschaffen sollte (wie es auch gar nicht
anders seyn konnte), so erhob sie ein großes geschrey und wollte die ganze
sache beseitigen, also das erstemal, wo es sich nicht um Worte, sondern um
thaten handelte! hätten wir einen solchen fehler begangen, so würde sie es
meisterlich verstanden haben, ihn zu ihren gunsten zu exploitiren, wir aber
sind immer die schläfrigen narren und verhalten uns fortwährend passiv.
doch sind in diesen tagen, großentheils auf meine Anregung, die Anfänge
eines energischen Auftretens von unserer seite geschehen, eine Zeitung „die
flugblätter“ ist bereits da unter der redaction von Jürgens, Bernhardi und
löw, jedoch ist sie mir bisher zu ruhig und doctrinär, um erfolg zu haben,
muß sie wie Blums reichstagsszeitung aggressiv seyn und gackern. nebst-
dem haben wir, was ein großer coup ist, die oberpostamtszeitung gewon-
nen, und der hund Wiesner ist entfernt. Auch wegen der gallerieen, die in
diesen tagen der Aufregung und bey den hitzigen fragen der kommenden
Woche eine große rolle spielen könnten, sind Anstalten getroffen, ich habe
detmold (einen grundgescheidten bucklichten kerl), Jürgens und Würth
vorangestellt und selbst mit sarg, dem eigenthümer des russischen hofes,
und robert koch gesprochen, welche sich nun mit vielen frankfurter Bür-
gern das Wort gegeben haben, die gallerieen zu besetzen und die machina-
tionenen der linken (welche ihre bezahlten claqueurs hat) zu contremini-
ren. man muß hierbey an die kleinsten einzelheiten denken, und ich lerne
täglich neue kniffe kennen.
Alle diese dinge sind übrigens sehr nothwenig, denn wir stehen auf ei-
nem vulcan. die democratischen vereine von ganz deutschland halten seit
3 tagen hier ihre sitzungen und haben bereits erklärt, daß die national-
versammlung das vertrauen der nation verwirkt habe und daher gesprengt
werden müsse, daß jedoch frankfurt nicht der geeignete ort dazu sey, son-
dern daß man vorerst alle deutschen regierungen stürzen müsse, und daß
sie zu diesem ende ein permanentes comité in Berlin gründen wollen. es
wimmelt hier von verdächtigen gesichtern. dazu kömmt noch die Wahl hek-
kers, welche von der jämmerlich schwachen badischen regierung noch nicht
kassirt worden ist,1 und die gerüchte von beabsichtigten neuen einfällen
1 erst am 1.7.1848 gelangte ein schreiben der badischen regierung zur verlesung, in dem
die Wahl friedrich heckers, eines „landesverräthers“, der von der schweiz aus „die grenze
deutschlands mit bewaffneten schaaren“ bedrohe, mitgeteilt und angesichts der tatsa-
che, dass es sich dabei um eine über eine bloße landesangelegenheit hinausgehende sache
handle, eine entscheidung darüber der nationalversammlung überlassen wurde. ein dar-
auf eingesetzter Ausschuss beantragte, die Wahl für ungültig und unwirksam zu erklären,
dieser Antrag wurde am 11. August in namentlicher Abstimmung angenommen (330 gegen
116 stimmen).
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume II
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- II
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 716
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien