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Tagebücher114
der heckerschen und französischen freyschaaren. morgen soll meine Pe-
tition um einberufung hecker’s überreicht werden, und da dürfte es wohl
spektakel geben. Wenn hecker unvermuthet hierher käme, so wäre das eine
schlimme geschichte, jedoch sind alle Anstalten dagegen getroffen, und er
wird wohl nicht so tollkühn seyn, seiner sicheren verhaftung in die hände
zu laufen.
gestern und heute war keine sitzung, obwol auf heute eine anberaumt
war. gagern aber ließ sie, da nichts auf der tagesordnung stand und dahl-
mann seinen Bericht über die centralgewalt erst morgen bringen kann, ab-
sagen. darüber war dann große gährung auf der linken, die wahrscheinlich
ihren democratischen vereinen etwas zum Besten geben wollte, sie sandten
gestern spät Abends eine deputation zu gagern, und wollte die Abhaltung
einer sitzung erzwingen, wurde aber gebührend abgetrumpft, sie wollte
dann noch zu soiron und eventualiter zu mir kommen, um uns aufzufordern,
die sitzung abzuhalten, unterließ es aber wohlweislich und gab sich endlich
zufrieden.
Wegen der centralgewalt, die nun losgehen soll, haben wir eine conferenz
nach der andern, es zeigen sich große schwierigkeiten, daß der commissi-
onsantrag den radikalen, welche bloß ein vollziehungscomité im schooße
der souveränen nationalversammlung wollen, nicht gefällt, versteht sich,
aber selbst unter den übrigen herrschen große meinungsverschiedenheiten.
viele wollen ein absolutes ernennungsrecht der nationalversammlung, noch
mehrere (wie es scheint) aber, und darunter viele der größten liberalen von
vordem, z.B. Welcker, welcher heute Abends bey Jürgens eine sehr heftige
aber sehr ergreifende rede gegen den Ausschußantrag hielt, Bassermann
etc. eine unbedingte ernennung des directoriums durch die regierungen
und keine so absolute Beseitigung des Bundestages. letzterer soll nämlich
nach dem entwurfe als eine Art staatsrath fortbestehen, und da wäre nach
meiner Ansicht raum genug, um ihm im Wege der instructionen der re-
gierungen an das neue Bundesdirectorium (jedoch nicht durch das zu erlas-
sende gesetz) eine sehr gewichtige stellung als fürstenrath oder reichsrath
zu sichern, besonders da, wenn das directorium aus Prinzen bestehen soll,
dieses den dynastischen interessen gewiß nicht entgegen seyn wird. der Wi-
derstand dürfte auch hauptsächlich von den kleineren regierungen ausge-
hen, welche auch allerdings durch diese neue schöpfung weit mehr annullirt
werden als die großen. Welckers Ansicht ist freylich die constitutionellste,
nachdem aber einmal die regierungen es unverzeihlicherweise versäumt
haben, die sache selbst in die hand zu nehmen, und nun die nationalver-
sammlung die initiative ergriffen hat, so kann man ihr schwerlich soviel
mäßigung zumuthen, daß sie die ernennung freywillig den regierungen
überlasse. Aber ich sehe trübe folgen, wenn sich die meinungen zersplit-
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume II
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- II
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 716
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien