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Tagebücher120
allen sardinischen gesandten an allen deutschen höfen sind die Pässe zuge-
schickt worden. Wegen dem Bombardement von Prag entstand neulich ein
sturm in der nationalversammlung, welche jetzt eine Art steeple-chase mit
dem Bundestage macht und sich entsetzlich ärgert, daß dieser ihr überall
zuvorkommt, die oesterreicher auf der linken, u.a. Wiesner, benahmen sich
wie immer elend.
diesen Abend brachte man gagern (der in einem hause mit mir wohnt)
eine katzenmusik, welche aber gleich im Beginne von der Bürgerwehr aus-
einandergejagt wurde, wobey mehrere verhaftungen geschahen. die frank-
furter Bürgerschaft benimmt sich überhaupt vortrefflich, und in dieser
hinsicht können wir nirgends besser seyn als hier. der grund jener demon-
stration (worüber ganz frankfurt entrüstet ist) war, daß gagern gestern, als
die gallerieen zu laut wurden, mit räumung derselben drohte, übrigens ist
er eher zu milde und furchtsam in dieser Beziehung, und ich habe schon ein
paarmal, auch in Bureausitzungen, in dieser hinsicht Anträge gestellt, be-
sonders auf Ausgabe von mehrern eintrittskarten, somit verminderung des
freyen raumes auf der gallerie, worauf er durchaus nicht eingehen wollte.
es ist aber ein wahrer unsinn, daß noch jetzt an 1000 menschen frey und
ohne karten auf die gallerieen kommen können, sie sind denn auch stets
gesteckt voll und meistens von turnern, handwerksgesellen etc. und ähnli-
chen leuten, die zum theile erwiesenermaßen im solde der linken stehen,
angefüllt.
der Wiener reichstag ist auf den 6. kommenden monats verschoben. Pil-
lersdorf bleibt und bildet sogar ein neues ministerium. stadion wollte nicht
annehmen und hatte recht, wer wird auch jetzt, vor dem reichstage, ein-
treten? der kaiser verläßt innsbruck noch nicht und stellt sich krank, das
nennt man paura, an derselben krankheit scheint, sehr unweise, erzherzog
franz carl zu leiden, und erzherzog Johann soll als Alter ego nach Wien
gehen, letzteres dürfte aber durch die hiesigen nachrichten wohl hoffentlich
hintertrieben werden.
[frankfurt] 24. Juni
heute ist die debatte über die centralgewalt zu ende gekommen. gagern
sprach selbst am schlusse und schlug vor, zur Beseitigung aller streitigkei-
ten über die ernennung des reichsverwesers gleich ohne weiters eine fürst-
liche Person zu erwählen, wobey er sehr deutlich auf erzherzog Johann hin-
wies, seine rede machte ungeheuren eindruck, und ich zweifle nicht, daß,
wenn er eine Acclamation erzherzog Johann’s vorgeschlagen hätte, diese auf
der stelle erfolgt wäre. Als Präsident konnte er aber dieß allerdings nicht
wohl thun. nach ihm sprach noch dahlmann ziemlich matt und gereizt und
modificirte das Ausschußgutachten, indem er nun statt 3 einen vorschlug
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume II
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- II
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 716
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien