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13312.
Juli 1848
A. Potocki etc., die da in stiller, eigentlich in résignirter Zurückgezogenheit
leben.
Am tage unserer Abreise, wenige stunden vorher, geschah ein ereigniß,
welches diese bald in frage gestellt hätte. Pillersdorf war schon seit einigen
tagen der gegenstand der heftigsten Angriffe, die nichtabsetzung leo thuns
und somit der schleyer über die ereignisse in Prag, die von ihm herausge-
gebene allerdings sehr ungeschickte geschäftsordnung,1 endlich sein Beneh-
men bey den Wahlversammlungen waren die ursachen des sturmes, der
schon am 7. so drohend wurde, daß doblhoff mich bath, zu ihm zu kommen,
um die liste eines neuen ministeriums auf alle möglichen fälle vorzuberei-
ten. sollte Pillersdorff durch einen abermaligen krawall fallen, so meinte er
und ich, könne auch er nicht bleiben. Aber es kam nicht so. Pillersdorf hatte
am samstag früh eine lange conferenz mit den matadors des sicherheits-
ausschusses fischhof, freund, hruby etc. und gab, der misérable kerl, in Al-
lem nach: Auflösung des noch nicht zusammmengetretenen Reichstags (der
den leuten zu conservativ zu werden scheint), directe Wahlen, einkammer-
system etc. das war aber den übrigen ministern dann doch zu arg, und sie
zwangen den Widerstrebenden zur Abdankung, die mittlerweilen auch im si-
cherheitsausschuß mit 180 gegen 5 stimmen beschlossen worden war. einen
Augenblick hieß es, man werde den erzherzog nicht fortlassen, was sich aber
nicht bestätigte. ich erfuhr es bey tische, da wir eben ein großes damendiner
hatten: todesco, Werthheimstein, frau v. mühlfeld etc., und schrieb gleich an
doblhoff, welcher die Bildung des neuen ministeriums übernommen hatte.
dieser kam denn auch gegen 6 zu mir und blieb bis zu unserer Abfahrt. Alex.
Bach, welcher auch bey mir war, wurde gleich für das Justizministerium in
Beschlag genommen, und er nahm es unter der Bedingung an, daß das neue
cabinet ein linkes seyn werde. ich war für das Auswärtige designirt, erklärte
aber doblhoff, daß ich es nur sehr ungerne und nur im falle der äußersten
noth annehmen würde und einstweilen, um mich in der europäischen Politik
einzuarbeiten, den gesandtschaftsposten in london wünsche. das ist schon
lange meine idee, da kann ich in ruhe zusehen und abwarten, bis sich die
dinge gesetzt haben und meine Zeit gekommen ist, denn jetzt ist sie noch
nicht da, in diesem Augenblicke stehe ich zu sehr rechts, aber bald, so denke
ich, wird ein rückschlag eintreten, und dann werde ich an meinem Platze
seyn, das jetzige ministerium wird ohnehin nicht lange dauern.
gegen 7 uhr fuhren wir im hofwagen in die Burg, zum erzherzog, dieser
sprach noch einige Worte vom Balcon zur menschenmenge, und dann ging
es wieder in einem triumphzuge zur eisenbahn. die ganze reise ging dann
1 An der provisorischen geschäftsordnung wurde in erster linie das darin enthaltene abso-
lute vetorecht des kaisers gegen die Beschlüsse des reichstags abgelehnt.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume II
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- II
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 716
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien