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Juli 1848
nichts mehr einzuwenden habe. Wir richten uns nun auch schon für den
Winter ein, die Paulskirche soll heizbar gemacht werden. hat centralge-
walt und nationalversammlung einmal etwa ein Jahr lang nebeneinander
fortbestanden, so schwindet der Particularismus allmälig von selbst. nur
möchte ich zur vervollständigung dieses Provisoriums noch die Bildung ei-
nes provisorischen staatenhauses herbey führen, und dazu werden eben
jetzt in der Presse und in Besprechungen etc. die nöthigen einleitungen
getroffen.
daß die linke von Allem dem das gegentheil will, versteht sich von
selbst, daher schreit sie nach reaction etc. und dringt auf möglichste eile
in der Beendigung des verfassungswerkes, welche ich eben für das größte
unglück halten würde, denn wiewol mir die nothwendigkeit, daß oester-
reich von frankfurt zurück trete, immer klarer wird, so halte ich deßwegen
doch die einheit und größe deutschlands für nicht minder nothwendig,
und zwar im deutschen wie im österreichischen interesse.
[frankfurt] 28. Juli Abends
gestern nach einer 4tägigen debatte haben wir endlich die polnische frage
zu ende gebracht. die hoffnungen der Polen und Polenfreunde sind da-
durch gründlich vernichtet. die Abstimmung nahm die ganze gestrige sit-
zung weg und geschah mit vieler ruhe und organisation von unserer seite
und mit großer Aufregung von seiten der linken, welche, als Blums Amen-
dement (die sache nochmals commissarisch untersuchen zu lassen) bey
namentlicher Abstimmung durchfiel, erklärte, nicht mehr mitstimmen zu
wollen. es wurde sogar ein Punkt des Ausschußantrages, welcher indirekt
die möglichkeit einer zukünftigen Wiederherstellung Polens aussprach,
verworfen.1 Am schlusse kam ein Antrag der linken: die nationalver-
sammlung erkläre die theilung Polens für ein schmachvolles unrecht und
halte es für eine Pflicht Deutschlands, zur Herstellung eines freien Polens
mitzuwirken. die namentliche Abstimmung, welche gagern über diesen
Zusatz ziemlich unklug und übereilt zugegeben hatte, wurde heftig bestrit-
ten, und die linke beging den groben fehler, nicht auf theilung der beyden
sätze zu dringen, was zur folge hatte, daß der Zusatz mit 342 (worunter
1 Am 27.7.1848 anerkannte die nationalversammlung in namentlicher Abstimmung (And-
rian ging mit der majorität) die Aufnahme der deutschen teile Posens in den deutschen
Bund (die vom Bundestag über Antrag Preußens Anfang mai ausgesprochen wurde) und
bestätigte die mandate der dort gewählten Abgeordneten. nicht zur Abstimmung gelangte
dagegen jener Teil des Ausschussantrags, der Preußen verpflichtet hätte, den Schutz der
deutschen minorität im polnischen Posen zu garantieren, auch im falle „daß dieser polni-
sche theil Posens aufhören sollte, unter preußischer herrschaft zu stehen,“ da ein gegen-
antrag, in dem dieser letzte Passus fehlte, angenommen wurde.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume II
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- II
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 716
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien