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Jänner 1854
heute früh fuhren wir ab, wir haben noch immer sehr heftigen nord-
wind, fahren daher sehr langsam, dazu kömmt, daß die meisten unserer
leute aus dieser gegend sind, daher auf ein paar stunden urlaub nehmen,
dasselbe that mit meiner erlaubniß der reis, welcher erst heute nacht
nachkommen wird, und bey dessen dorfe wir ein paar stunden anlegten.
kurz dieses ist ein verlorener tag, und wir werden heute kaum bis kom
ombos kommen.
die politischen nachrichten von neulich scheinen sich nicht zu bestä-
tigen,1 ich glaube namentlich an keinen kühnen schritt von seiten eng-
lands, dieses land ist in politischer Beziehung wenigstens für den Augen-
blick null, seitdem die krämer eine macht geworden sind. und dennoch
breitet sich der englische nahme immer weiter aus, namentlich in diesen
ländern, welche nach und nach anglisirt werden. england erobert friedlich
durch seinen Handel und durch seine Unzahl von Reisenden, diese überflu-
thende Masse von Gentry, welche zuhause keinen Platz mehr findet.
die alteuropäische Politik wird nach und nach so ziemlich zur spieß-
bürgerey. die große Politik wendet sich jetzt nach den unentdeckten oder
halbentdeckten ländern der erde und wird zum Wettlaufe nach diesen, da
sind dann allerdings england und nordamerika und vielleicht rußland im
vordergrunde, wir Andern Alle treiben spießbürgerpolitik und kleinstaa-
terey.
[am nil nördlich von kom ombos] 28. Jänner
heute gegen sonnenaufgang kamen wir nach kom ombos und besahen uns
die schönen tempelruinen, welche durch ihre lage auf einer vorspringen-
den höhe dicht am flusse noch schöner erscheinen. sie stammen aus der
Ptolemäerzeit, hier wie in den meisten ägyptischen tempeln ist das kapitel
einer jeden säule von denen aller anderen verschieden, überhaupt ist eine
gewisse symmetrophobie ein characteristisches merkmal derselben. hier
wie in nubien glaubt die Bevölkerung steif und fest an ihre erbauung durch
Zauberey, was von ihrem standpuncte aus ziemlich erklärlich erscheint.
Wir haben noch immer conträren Wind, daher nicht gerudert werden
kann, sondern man das Boot von den Wellen treiben läßt, eine langsame
Art des fortschrittes, der reis ist noch immer nicht an Bord, und ich muß
ihm nun zum ersten male seit dieser reise den kopf waschen.
[am nil nördlich von el kab] 29. Jänner
gestern Abend gegen 6 uhr kamen wir zu den sandsteingebirgen des ge-
bel silsileh, aus denen der größte theil der ägyptischen Bauwerke, von
1 vgl. eintrag v. 25.1.1854.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien