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März 1854
Ablässe. für 100 dukaten kann man nebstdem noch ritter des heiligen
grabes werden und einen schönen crachat tragen, wenn man sich nichts
daraus macht ausgelacht zu werden.
morgen mittag reise ich ab, es begleitet mich ein cavass1 des consulats,
welcher die Post nach Jaffa bringt.
châteaubriand, den ich leider erst jetzt zur hand nahm,2 hat mir man-
ches, was ich nicht wußte, gesagt: ramleh, rama, ist das alte Arimathaea,
das dorf trone, latrone auf dem Wege hieher soll der geburtsort des bösen
schächers gewesen seyn, gariet des Abugosch ist das dorf des Jeremias,
zwischen Jaffa und ramleh war idumaea etc.
heute ritt ich mit Pizzamano nach dem öhlberg, um einen recht schö-
nen tag zu haben, hatte ich es bis heute aufgeschoben und mußte nun bey
einem heißen khemsin, also nebeligtem himmel, hinauf. ich sah daher we-
der das todte meer noch den Jordan, wohl aber die herrliche Aussicht über
Jerusalem und oben die stätte der himmelfahrt christi, dessen fußstapfe
in einem steine gezeigt wird, es ist ein türkisches sanctuarium, wo aber
lateiner, griechen und Armenier an großen festen messe lesen.
das französische Protektorat ist eine wahre calamität für den catho-
licismus hierlands. frankreich spielt dabey die dümmste rolle der Welt,
setzt nichts durch, macht ein fiasco um das Andere (so war es auch mit
dem berühmten von lavalette eroberten firman vom Jahre 1852,3 eigent-
lich dem Anfange des jetzigen russisch-türkischen streites, der fall, durch
welchen die katholiken sehr stark verkürzt worden, da der status quo,
welcher gegen sie war, definitiv sanctionirt wurde) und läßt keine andere
macht zu, sich in diese fragen zu mengen. Auch ist wie natürlich der fran-
zösische Einfluß und ihr Ansehen im Oriente schon fast auf Null reducirt
und scheint trotz krieg und hülfe bestimmt, wenigstens hier in kurzem
zu erlöschen. Pizzamano arbeitet wacker und geschickt, nämlich indirect,
darauf hin, indem er einerseits die Gelder, welche aus Oesterreich einflie-
ßen, nach und nach in separirte gebahrung nimmt, und anderseits die kir-
chenhonneurs, die sich frankreich arrogirt, auf alle katholischen consuln
auszudehnen trachtet. seine instruktionen sind übrigens, das Protectorat
frankreichs hier stillschweigend zu dulden (doch in möglichst engen gren-
zen), da wir dagegen ein unbeschränktes katholisches Protektorat in der
europäischen türkey ausüben.
1 türkischer Polizist, Wachmann.
2 françois-rené vicomte de chateaubriand, itineraire de Paris à Jerusalem et de Jerusalem
à Paris en allant par la grêce et revenant par l’egypte, la Barbarie et l’espagne (Paris
1811).
3 Womit das französische Protektorat über die heiligen stätten und die katholiken im hei-
ligen land durch den sultan bestätigt wurde.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien