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April 1854
gleichsam die vorposten des Antilibanon (der mit dem libanon parallell
[sic] läuft) bildet, und da der regen beynahe den ganzen tag nicht aufge-
hört hatte, hielten wir schon um 4 uhr an dem dorfe migdol am eingange
des Antilibanon, dem letzten bewohnten orte auf 6 meilen weit, dort bezo-
gen wir ein Bauernhaus und machten uns darin so confortable wie möglich,
der hausherr erzählte uns, daß vor ein paar Wochen die nach constantino-
pel in den krieg ziehenden drusen das dorf rein ausgeplündert hätten, so
daß keine lebensmittel mehr vorhanden seyen (?).
da es uns darum zu thun war, heute nach damascus zu kommen, so
ließen wir unsere Bagage, maulthiere etc. zurück und ritten bloß von has-
sarin1 begleitet, heute bald nach 6 uhr fort in den Antilibanon. Anfangs
schien das Wetter ziemlich erträglich, der Weg führte mit schwacher stei-
gerung durch die thalebene, die ganze gegend erinnerte mich sowie die des
libanon lebhaft an die schweiz, hohe schwarze zackigte kahle felsen (wir
passirten heute zweymal durch sehr wild aussehende engpässe), dann wie-
der Bergebenen oder hügelland, überall aber eine menge Wasser und Was-
serfälle, vornehmlich von dem aufgehenden schnee. nach ein paar stunden
aber erhob sich ein furchtbares schneegestöber, eine wahre tourmente, wel-
che bald stärker, bald schwächer, an 3 stunden dauerte, kein haus, kein
khan (es soll hier so unsicher seyn, daß niemand diese khans zu bewohnen
oder zu bewachen wagt) noch Baum weit und breit, einen Augenblick, aber
auch nicht länger, hielten wir in einer Art von felsenhöhle, die aber schon
mit kamehlen, maulthieren und menschen vollgepfropft war, dann ging es
weiter, es war ein sehr unbehaglicher ritt, bis auf die haut naß, die füße
in den steigbügeln halb erfroren, dabey sturm und schnee, kurz wir waren
froh, als das überstanden war. um 12 uhr ungefähr hielten wir eine halbe
stunde in dimás, dem ersten dorfe seit migdol, und wärmten uns in einem
Bauernhause am feuer. von da an geht es auf immer besser werdenden
Wegen vorwärts, bergauf, bergab, jedoch mit immer zunehmender vegeta-
tion, die felsen werden hier kalkstein, eine stunde vor damascus kommt
man an den fluß Barrada (Pharphar)2 und reitet lange daran fort. endlich,
nachdem wir eine alte römerstraße passirt hatten, nach einer höchst son-
derbaren gebirgslandschaft, wo kalkfelsen mit rothen thongebirgen ab-
wechseln, kömmt man durch einen in den felsen gehauenen engpaß oder
Défilé, an dessen Ausgang man plötzlich, wie eine Theaterdecoration, unter
sich damascus erblickt! – eine weite ebene, im hintergrunde, weit, blaue
Berge und hügelreihen, in der ebene wie ein ungeheuerer Wald von Bäu-
men und gärten, zwischen denen einzelne minarets, moscheen etc. her-
1 der in Beirut engagierte dragoman (dolmetscher) für diese reise, vgl. eintrag v. 30.3.1853.
2 Pharphar ist der biblische name des Barada.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien