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etc. dann besuchten wir den englischen viceconsul, einen ehrlichen abge-
dienten schiffslieutenant, der seit 8 monathen in dieser Wüsteney (Alex-
andrette besteht aus einigen schlechten häusern und sieht ganz aus wie
eine factorey in Amerika oder Australien), die noch dazu höchst ungesund
ist, vegetirt, er führte uns herum und zeigte uns die einzige curiosität, eine
englische faktorey aus dem 17. Jahrhundert, welche jetzt in trümmern
ist, und einen kirchhof mit gräbern englischer residenten meist aus den
Jahren 1660–1700. nachher aß er bey uns an Bord, da ihn meine reisege-
fährten eingeladen hatten.
die englischen Agenten scheinen hier allenthalben sehr exaltirt für die
türkische sache und von lord redcliffes furia angesteckt, allerdings sind
sie jetzt momentan die herren des landes und führen das große Wort. die
franzosen hinken nach. das wird eine kleine Weile so dauern, und dann
können wir, wenn wir vernünftig operiren, das ganze ungelegene gesindel
mitsammt den russen hinausschmeißen.
übrigens haben die engländer bey Besetzung ihrer consulate sowie
auch im handel und allenthalben sonst den ungeheuern vortheil, daß ihre
leute gentlemen sind, das aber ist mehr werth als alles Andere, wie sogar
Washington sagte. Bey uns aber ist diese sorte noch ziemlich rar.
die schraubendampfschiffe verdrängen im Waarenverkehr immer mehr
die segelschiffe, daran sollte man bey uns denken.
nachts gegen 11 uhr fuhren wir ab und waren heute 9 morgens in mer-
sina, dem hafen von tarsus, einem orte in der Art wie Alexandrette. Wil-
mot, kennard etc. fuhren nach den ruinen von Pompejopolis, 2 stunden
von hier, am cydnus vorüber, wo Alexander der große beynahe verun-
glückt wäre und, wenn ich nicht irre, kaiser friedrich i. seinen tod fand,1
und erzählten nach ihrer rückkehr, sehr schöne ruinen, ein Amphitheater
und über 40 säulen gesehen zu haben. Wir sahen im vorüberfahren einiges
davon. gegen 5 uhr fuhren wir ab und hoffen, übermorgen früh in rhodus
zu seyn.
[an Bord der Austria zwischen samos und chios] 25. April
vorgestern 23. fuhren wir den ganzen tag bey ziemlich unruhiger see und
Westwind, welches beydes jedoch gegen Abend nachließ. nach mitternacht
erhob sich plötzlich ein heftiger südostwind, welcher in kurzer Zeit zu
einem wahren sturme wurde und das dampfschiff wie eine nußschale hin
und herwarf, ich litt zwar nicht eigentlich, befand mich aber höchst unbe-
1 friedrich Barbarossa ertrank im kalykadnos, nicht im cydnus. Andrian verwechselt wohl
die beiden Flüsse, der Cydnus fließt durch Tarsus, der Kalykadnos liegt südlich von Mer-
sina am Weg nach Pompeiopolis.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien