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90 Tagebücher
sitzen. mich amusirten diese kerls, die trotz anscheinender türkischer im-
passibilität dem oesterreicher 30.000 Piaster antrugen, wenn er abstünde.
smyrna 27. April
gestern früh, 1 1/2 stunden von hier, fanden wir ein französisches kriegs-
dampfschiff, welches aufgefahren war (was den franzosen überhaupt oft
zu begegnen pflegt) und uns einen Offizier zuschickte mit dem Ersuchen,
es ins schlepptau zu nehmen, i.e. loszumachen, was der capitain aber, da
er schwer geladen hatte (14 fuß), daher selbst riskirt hätte aufzufahren,
und nebstdem die europäische Post (welche um 4 nach triest abging) nicht
versäumen konnte, verweigerte. Zu seiner deckung bath er mich dann, ihm
eine erklärung auszustellen, was ich that und sie auch von mehreren mei-
ner reisegefährten unterschreiben ließ.
gegen 11 uhr waren wir hier, ein herrlicher hafen und Anblick, die
stadt mehr als halb europäisch, ich machte nachmittags einen spazier-
gang nach Burnabat, welches sehr reizend an einem engen meeresarme
liegt, der sich tief ins land hineinstreckt, der gang durch das europäische,
recte griechische, Quartier war interessant durch die menge hübscher und
eleganter frauen und mädchen, die unter den hausthoren und in den net-
ten Hausfluren standen und kokettirten, das ist hier Sitte. Abends las ich
in einem recht confortablen europäischen casino Zeitungen.
ich wohne im hôtel mille, einem schlechten lärmenden confusen franzö-
sischen gasthofe, beym generalconsulate fand ich Briefe aus europa und
meine beyden koffer aus cairo. heute geht ein französisches dampfschiff
nach constantinopel, durch welches ich an Bruck geschrieben habe, ich
selbst fahre morgen 4 uhr nachmittag mit der Australia des lloyd.
heute ist Prinz napoleon hier angekommen, der hafen wimmelt von
französischen kriegsschiffen, doch scheinen die operationen ziemlich lau
betrieben zu werden, vom kriegsschauplatze hört man seit fast 4 Wochen
gar nichts, jedoch sollen die beyden flotten nach odessa gegangen seyn,
um es zu bombardiren, den hauptcoup wird wohl napier führen. Ausge-
schifft sind bis jetzt gegen 30.000 mann beyder nationen, von denen ein
theil in constantinopel, ein anderer auf dem marsch nach Adrianopel ist.
hess hat in Berlin eine schutz- und trutz Allianz mit Preußen abgeschlos-
sen, und zugleich haben wir am 9. in Wien ein Protocoll unterzeichnet,
worin die 4 mächte erklären, daß sie sich trotz der kriegserklärung vom
28. noch fortwährend in vollkommener Übereinstimmung befinden,1 es
1 Als ergebnis der sondermission von generalstabschef frh. heinrich v. hess nach Berlin
unterzeichneten österreich und Preußen am 20.4.1854 einen Bündnisvertrag und eine ge-
heime militärkonvention. das Wiener Protokoll v. 4. April bestätigte die einigkeit der vier
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien