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des commandanten der custozza, cohen, im hause, und gestern sonntag
Abends hatten wir sogar musik und einen improvisirten Ball mit ziemlich
vielen gästen, daher gesellige Abwechslung genug.
gestern machte ich mit Walterskirchen einen spaziergang über Beschik-
tasch gegen die süßen Wässer, wo ich einen theil der eleganten Welt von
Pera begegnete. heute war ich mit den damen an Bord der custozza und
sah von da die Ankunft des Prinzen napoleon, welcher von den kriegsschif-
fen und strandbatterien salutirt in das ihm vom sultan bereitete Palais
fuhr.
die flotten haben odessa bombardirt, ein paar schiffe von da wegge-
führt, einen theil der stadt zerschossen, das ganze eine ziemlich nutz-
lose operation, jetzt sind sie vor sebastopol, von der donau hört man gar
nichts. die russen scheinen den krieg in die länge ziehen zu wollen, und
ihrerseits scheinen die franzosen und engländer entschlossen, omar Pa-
scha (welcher übrigens mit den irregulairen truppen seine noth zu haben
scheint und erst neulich eine empörung derselben mit vieler mühe stillte)
die sache allein ausfechten zu lassen, und nur im falle er sich zurückzie-
hen müßte, gewisse Punkte zu besetzen. lord raglan ist gestern angekom-
men, der herzog von cambridge reist über Wien, ein neuer Beweis von
Aufmerksamkeit für uns.
mittlerweilen wäre es hier trotz der gerühmten entente cordiale bey ei-
nem haare zu einem Bruche zwischen england und der Pforte einer- und
frankreich anderseits gekommen. Baraguay d’hilliers nahm nähmlich die
hier lebenden griechen, namentlich die katholischen, gegen redcliffe und
reschid Pascha (wovon der erstere noch wüthender ins Zeug geht als dieser)
in schutz, und die sache ging so weit, daß er seine Pässe verlangte, wenn
man auf der Ausweisung sämmtlicher griechischer unterthanen ohne un-
terschied bestünde, erst vorgestern wurde die sache beygelegt, und zwar in
der Art, daß Baraguay vollkommene Befriedigung erhielt.
mit dem heutigen tage ist in ungarn und Annexen, dann in galizien
der Belagerungsstand aufgehoben, im ersteren lande jedoch mit manchen
vorbehalten. eine Amnestie für 600 politisch verbannte sollte bey gelegen-
heit der vermählung des kaisers erscheinen, wirklich brachte die Australia
nach Corfù für sämmtliche dort lebende Emigrirte (ehemalige Marineoffi-
ziere) mit einer einzigen Ausnahme die erlaubniß zur heimkehr.
sonst liest man in den Wiener Blättern haufenweise ernennungen, die
neue (?) politische organisirung scheint also jetzt durchgeführt zu werden.
[konstantinopel] 4. mai
neulich ging ich mit ludolf und carl Bruck auf den thurm der genueser
in galata, von wo man die schönste Aussicht über constantinopel hat, ge-
4. Mai 1854
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien