Page - 108 - in „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“ - Tagebücher 1839–1858, Volume III
Image of the Page - 108 -
Text of the Page - 108 -
Tagebücher108
Antiparos in der ferne liegen und waren nach 10 uhr im hafen von syra,
ein eigenthümlicher Anblick, hier liegen wir noch bis heute Abend und
dürfen der stupiden Quarantäne wegen weder ans land, noch mit irgend-
wem communiciren, das lloyddampfschiff stambul, welches hier liegt und
triest am 19. verließ, brachte Zeitungen. Bey uns ist eine Aushebung von
95.000 mann (die des laufenden Jahres) angeordnet, um die süd- und nord-
östlichen grenzen des reiches zu besetzen, und zugleich eine Art manifest
an die völker erlassen, wieder eine Art 1813 – – – – !!1 soviel scheint also
gewiß, daß wir gegen rußland rüsten, und das ist die hauptsache. Alle die
engländerfresser (Bruck einbegriffen) und gekränkten frommen seelen
werden ein Kreuz schlagen, und daß der Kaiser diese Einflüsse überwun-
den hat, gefällt mir von ihm.
[an Bord des egitto vor hydra] 26. mai
Wir fuhren von syra gestern Abends 11 uhr ab und hatten eine menge bis
an die Zähne bewaffnete griechen mit, die zu den insurgenten nach epirus
gingen, sodaß der capitaine, um vor einem handstreich sicher zu seyn, in
der nacht seine ganze mannschaft bewaffnete, doch beschränkten sie sich
auf reden und patriotische lieder.
diesen morgen gegen 4 uhr passirten wir das cap sunion (cap colonne),
man versäumte es aber, mich, wie ich gesagt hatte, zu wecken. Als ich ge-
gen 6 an Bord kam, lag Athen und die Acropolis, der Pentelikon und hy-
mettus vor mir, salamis links. Wer, wie wir Alle, in den classischen studien
großgezogen worden ist, kann sich den eindruck vorstellen, welchen solche
nahmen und orte hervorbringen. um 8 waren wir in Piraeus, es waren
da 12 französische dampfschiffe (davon ein paar schon wieder abgesegelt
waren) und 3 transportschiffe, dann 2 englische kriegsschiffe. Jene hat-
ten gegen 10.000 mann gebracht, die gestern früh ankamen, mit ihnen ein
französischer comissaire, um die finanzgebahrung der regierung zu un-
tersuchen, wozu das von england und frankreich garantirte Anlehen als
vorwand dient! die beyden gesandten forderten nun vom könige eine en-
ergische Proclamation gegen die insurrection in epirus etc. nebst mehreren
anderen dingen, worüber sehr verschiedene Angaben zu hören waren. Als
nun die minister ihre entlassung gaben, und der könig sich weigerte, ohne
contersignatur eines neuen ministeriums jene Proclamation zu erlassen
1 der hinweis bezieht sich wohl auf das manifest franz i. vom 18.9.1813, in dem er den
Beitritt zum krieg gegen frankreich und damit den Bruch mit napoleon, den österreich
im russlandfeldzug unterstützt hatte, begründete. Andrians vergleich hinkt aber insofern,
als – anders als 1813 – österreich sich nun gegen russland in verbindung mit frankreich
deklarierte.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien