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Mai 1854
(wie namentlich der französische Gesandte wollte), fing heute früh die Aus-
schiffung der truppen an und dauerte den ganzen tag fort, zugleich besetz-
ten die franzosen alle öffentlichen gebäude in Piraeus, belegten die Post
mit Beschlag und, was das Ärgste ist, bemächtigten sich der 4 im hafen
liegenden griechischen kriegsschiffe und nahmen die griechische flagge
von ihnen herab, ohne irgend eine andere aufzuhängen.
so standen die dinge, als wir ankamen, die Aufregung war sehr groß,
man hörte jeden Augenblick die widersprechendsten gerüchte: flucht des
königs, Absetzung desselben durch die Alliirten, revolution etc. man wi-
derrieth mir, nach Athen zu gehen, und selbst der capitaine meinte am
ende, ich sollte diese idee aufgeben.
Als wir um 11 uhr, 24 stunden nachdem wir in syra angekommen waren,
unsere Quarantäne los wurden, fuhr ich mit dem capitaine ans land zum
viceconsul und lloydagenten ivich, welcher mich versicherte, es sey gar
nichts zu besorgen, so nahm ich dann einen Wagen und fuhr nach Athen,
wo ich nach 3/4 stunden ankam, sah zuerst den theseustempel, dann be-
stieg ich die Acropolis und sah die Propyläen, den tempel der victoria, das
Parthenon und das erechtheum, das blaue meer und Attika vor mir, um
mich die Wunder griechischer kunst, mehr kunst und schönheit auf einer
spanne land als in ganz Aegypten. – –
ich fuhr dann zu dem thore hadrians, dem tempel des Jupiter olym-
picus, alles so unendlich schön und reizend, daß ich mich kaum trennen
konnte, den häßlichen Pallast des königs, die straßen etc. durchstrich
ich zu fuße, mich frappirte der so ganz und gar europäische Anschein der
stadt und der bayerische (sit venia verbo) der soldaten, den Bierbauch ab-
gerechnet. das thor des stagoras, Philopapos denkmal, socrates gefäng-
niß, thurm des Aeolus, tempel (stoa) des hadrianus, etc. sah ich theils
im vorbeygehen, theils von Weitem, denn die Zeit drängte, und ich wollte
mir auch noch die Physionomie der stadt ansehen, die eben jetzt eine dro-
hendere wurde als zuvor. es war nämlich gerade bekannt geworden, daß
die beyden schutz(!)mächte die entwaffnung der Athener garnison (3000
mann) binnen 4 stunden verlangt und im entgegengesetzten falle mit der
unverweilten militärischen Besetzung der stadt gedroht hätten. es stan-
den bewegte gruppen in den straßen umher, und mein lohnbedienter, den
ich recognosciren schickte, erzählte mir ihre reden, der könig ist für den
Augenblick sehr populär, wie lange er es unter diesen umständen bleiben
wird, ist eine andere frage. nachgegeben und seine bisherige philhelleni-
sche forfaiterie (man soll bey gefangenen insurgenten eigenhändige Briefe
etc. von ihm gefunden haben) désavouirt hat er bereits, trotz der vorstel-
lungen der königinn, es gibt bereits leute, welche behaupten, er selbst
habe die Alliirten gerufen und spiele nun komödie.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien