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August 1854
hier aber kam ein weiterer reiz für mich dazu, und dieser war der
mächtige ihrer Hülflosigkeit, so allein wie sie steht, unentschlossen und
unselbstständig in manchen – unwesentlichen, aber zahllosen – dingen,
kam es wie von selbst, daß sie sich ganz an mich anschloß und mich in allen
ihren kleinen, kleinsten und größeren Angelegenheiten zu rathe zog, das
ende davon war, daß man auf allen dächern von unserer demnächstigen
verheirathung spricht.
Bald nachdem mrs. norton nach Baden gezogen war, machte ich sie mit
olga bekannt, und die beyden damen, fletcher norton und ein guter freund
seiner mutter, mr. stirling, und ich bildeten von da an so zu sagen eine fa-
milie, trotz aller incompatibilitäten, welche zwischen den beyden frauen
existiren. die Abende brachten wir zusammen fast immer bey norton zu,
am tage machten wir öfters excursionen nach heiligen kreuz, laxenburg,
schönau etc. manchmal, namentlich früher oder wenn mrs. norton in Wien
war, fuhr ich auch mit olga allein in die Welt, so z.B. einmal nach vös-
lau, ein andermal in die Brühl, wo wir fürstinn Aurore taxis besuchten
etc., und das waren wie natürlich meine besten tage, überhaupt waren mir
die soiréen, welche ich in der ersten Zeit bey olga allein mit ihr oder mit
ihrer gesellschafterinn zugebracht hatte, angenehmer, anregender und er-
frischender gewesen als die späteren bey meiner freundinn mrs. norton,
welche ich übrigens außerordentlich liebe und verehre. mit Ausnahme der
Abende brachte ich fast den ganzen tag mit und bey olga zu, begleitete sie
in den Park, zum essen, auf ihren spaziergängen etc., kurz war der wahre
typus des cavaliere servante, nur die morgenstunden waren frey, und diese
benützte ich zu einem Besuche bey gabrielle in der Weilburg.
einen fatalen mißton in dieses häusliche stillleben brachte die unerwar-
tete wüthige leidenschaft, mit welcher der junge schafskopf norton, bisher
ein capuciner und katholischer enthusiast, über olga’s frühere gesellschaf-
terinn Signora Tambesi, eine hübsche Römerinn und petit vertu, herfiel,
zum großen kummer seiner mutter, was mir unangenehm war, da ich denn
doch die unschuldige ursache des ganzen heidenspectakels bin, der dumme
kerl will nichts geringeres als seine carrière aufgeben und heirathen, so-
bald ihr mann stirbt, der übrigens glücklicherweise kerngesund ist.
heute um 2 uhr, wie gesagt, fuhr ich mit olga herein, wir hatten unser
Abschiedsdiner im erzherzog carl bey mrs. norton, wo auch olga’s cousin
Paul stroganoff war, nächstens hoffe ich, von ihr und was weiter geschieht
Prinz Alexander Trubetzkoi, war seit 1848 verwitwet. Dagegen war Gräfin Clotilde Lottum
verheiratet (ihr mann starb 1849), lebte aber von ihm getrennt und hatte eine lange liai-
son mit dem preußischen diplomaten frh. Adolf v. Brockhausen. Zu Andrians Beziehung
zu Gräfin Lottum vgl. vor allem die Einträge von November 1841 bis Mai 1842.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien