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September 1854
änderte politische constellation, so habe ich doch auch zuweilen Ahnungen
einer entgegengesetzten lösung, welche eigentlich mit dem bisher gegen
mich beobachteten verfahren weit mehr im einklange stehen würde als
jede andere.
Je unmöglicher der krieg der vorrückenden Jahreszeit wegen wird, de-
sto wahrscheinlicher wird er durch den stand der diplomatischen verhand-
lungen, wir stehen einem offiziellen Bruche mit Rußland näher als je. Die
russomanen verstummen, und die russischen diplomaten hier ziehen sich
immer mehr zurück. doch verlieren wir nun schon seit ein paar monathen
eine kostbare Zeit, mehr energie und raschheit wäre zu wünschen, wenn
man auch einen mangel an geschicklichkeit Buol nicht vorwerfen kann.
dieses gepräge tragen auch seine depeschen, zahm und eine gewisse un-
parteylichkeit affectirend, an die doch niemand glaubt, so daß wir am ende
zum Briefträger zwischen ost und West herabsinken. natürlich werden wir
trotz alledem von Westen her gelobhudelt, da man uns ebenjetzt nothwendig
braucht. Auch das Anlehen ist gelungen, mit was für mitteln weiß natürlich
das Ausland nicht, und die Baarzahlungen sollen nun binnen längstens 4
Jahren wiederaufgenommen werden. es ist ohne Zweifel seit 1850 der bril-
lanteste moment, wielange das dauern wird? ist schwer zu sagen.
Jürgens war hier und besuchte mich ein paar mahle, er wollte mich über-
reden, den Winter in hannover zuzubringen, wo er jetzt lebt.
[Wien] 11. september
Am 6. erhielt ich einen Brief von grünne, worin er mir schrieb, daß der kai-
ser mir die verlangte Audienz bewilligt habe, ich ging demnach ins cabinet,
wo aber die liste zur Audienz des nächstfolgenden tages bereits fertig und
an lanckoronski abgegeben war, ich suchte daher diesen letzteren auf, wel-
cher aber in seiner gewöhnlichen ungefälligen manier meinte, für morgen
sey es schon zu spät, ich möchte es lieber für den nächsten Audienztag,
nämlich heute montag, aufschieben, ohnehin seyen für den 7. bereits eine
unzahl leute vorgemerkt etc. nun ist aber der kaiser plötzlich gestern
früh nach ischel gefahren, und ich kann nun mit meiner Audienz wieder
ein paar Wochen gefahren [sic], es ist freylich die hauptsache gewonnen,
nämlich die gewißheit, daß ich die Audienz erhalte, und ein paar Wochen
früher oder später wollen nicht viel bedeuten, aber unangenehm bleibt es
immer. da es sich jetzt, mit Beseitigung aller sentimentsfragen, lediglich
darum handelt, zu einer und zwar zu einer entsprechenden Wirksamkeit zu
gelangen (also 1. frage: An? 2. frage: Quid?), so ist die sache klarer und,
wie ich hoffe, auch kürzer geworden. hinsichtlich der ersten frage dürfte
es meiner Ansicht nach keine schwierigkeiten haben, wohl aber möglicher-
weise in Betreff der Zweyten.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien