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Tagebücher168
nicht zum vortheile der geschäfte, einer von Beyden wird am ende wei-
chen müssen, und ich glaube, es wird Bruck seyn, er schimpft ganz laut
über die beyden letzten finanzmaßregeln: das nationalanlehen und den
eisenbahnverkauf, beydes Bach’s Werke. die russen- und friedensfreunde
bauen ihre hoffnungen auf Bruck, er aber träumt noch immer seinen mit-
teleuropäischen, großdeutschen traum und will den deutschen Bund reor-
ganisiren, sich mit Preußen alliiren etc. ich halte ihn für einen schwärmer
und unpraktisch auf dem felde der Politik.
[Wien] 25. märz
Wir haben seit mehreren tagen ein vollkommenes frühlingswetter, warm
und schön wie im may, da der Winter strenge und ununterbrochen war,
so ist zu hoffen, daß wir wenigstens keine bedeutenden rückschläge mehr
erfahren werden, aber wer kann bey dem hiesigen clima auf irgend etwas
zählen?
von den conferenzen verlautet noch immer nichts, die hoffnungen auf
den frieden nehmen zu und wie es scheint, nicht nur hier, unter dem Publi-
cum, versteht sich, denn die wenigen Wissenden sprechen nicht, ich kann
diese hoffnungen nicht theilen, vielleicht deßwegen, weil ich den frieden
nicht wünsche, das geschwür, das allgemeine europäische und das speci-
ell österreichische, muß aufbrechen, je früher desto besser, aber bey uns
ist die friedenssehnsucht so groß, daß ich fürchte, man würde auch einen
faulen frieden annehmen. Bruck, dessen ehrgeiz dahin geht, minister der
auswärtigen Angelegenheiten zu werden, scheint mir in dieser richtung
(gegen Buol) zu arbeiten. er hält seine unpraktische idee der mitteleuro-
päischen Allianz und das hand- in handgehen mit Preußen fest, während
ich der Ansicht bin, daß Preußens schwächung (an der niemand eifriger
arbeitet als die preußische regierung selbst) unser größter vortheil, und
daß die deutsche frage für uns nichts anders ist als eine ganz einfache ter-
ritorial- d.h. vergrößerungsfrage.
die freyheit des schwarzen meeres, d.h. die vernichtung sebastopols ist
aber für niemanden von so wesentlichem interesse als für uns, und sollte
england von dieser forderung unter der Bedingung zurücktreten, für sich
ebenfalls einen kriegshafen am schwarzen meere zu erhalten, so wären wir
erst recht übel daran.
um wieviel höher steht doch über diesem unklaren getümmel der lei-
denschaften und halbverstandenen thatsachen die Welt der ideen! um
wieviel erquicklicher ist es, sich in diese zu versenken! nach und nach
entwickeln sich in ihr (die doch am ende die maßgebende ist auch für die
Welt der thatsachen) die resultate der Bewegung von 1848. namentlich in
frankreich, wo vor 1848 die verwirrung der Begriffe in politicis weiter ge-
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien