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18525.
Juni 1855
um endlich einmahl hinsichtlich der dispositionen Buol’s und meines
nun seit vollen 7 monaten beym kaiser liegenden gesuches ins reine zu
kommen,1 ging ich am 19. zu Buol und sagte ihm, daß ich endlich eine Ant-
wort zu haben wünschte, um darnach meine weiteren entschlüsse zu fassen,
daß keine Antwort auch eine Antwort sey, und daß ich ja überhaupt dieses
gesuch nur auf sein und grünnes wiederholtes Anrathen gestellt habe. er
schien ganz gut disponirt, obwohl er wieder wie vor 6 monathen sagte, daß
es nicht wohl anginge, daß er mich zu einem diplomatischen Posten in vor-
schlag bringe, und mich wie damals an Bach wies. darauf antwortete ich,
daß dieses so gut wie eine abschlägige Antwort sey, indem ich, ohne im ge-
ringsten eine persönliche Abneigung gegen Bach zu haben, doch in meinen
Ansichten von den seinigen viel zu sehr differirte und dieses zu öffentlich
ausgesprochen hätte, um mit ehren dem gegenwärtigen verwaltungssy-
steme dienen zu können, daß dieses letztere übrigens mit jedem tage deut-
licher seine unhaltbarkeit beweise und durch diesen immer offener an den
tag tretenden umstand bereits in das letzte stadium seiner existenz getre-
ten seyn dürfte, daß ich bey einem anderen verwaltungssysteme, welches
einfach, wohlfeil und darauf berechnet seyn würde, die hülfsmittel des lan-
des zu wecken, zu stärken und zu exploitiren (also gerade das gegentheil des
jetzigen) mit vergnügen dienen und auch von der öffentlichen meinung des
ganzen landes als vorzugsweise dazu berufen bezeichnet werden würde, daß
es sich aber eben darum handle, mich in die möglichkeit zu versetzen, diesen
Zeitpunkt abzuwarten, und daß ich gerade aus diesem grunde eine diploma-
tische oder sonstige verwendung gewünscht hätte, daß ich wohl wisse, wel-
che schwierigkeiten sich meinem eintritte in die diplomatie entgegensetz-
ten (auf die camarilla der staatskanzley hindeutend), daß ich aber hoffte,
er, graf Buol, würde, wenn er sonst damit einverstanden wäre, sich durch
solche hindernisse nicht beirren lassen.
ich mag die farben vielleicht etwas stark aufgetragen haben, denn Buol
machte plötzlich eine rechtsumschwenkung und sagte, er seinerseits glaube
an die haltbarkeit der gegenwärtigen Administration, auf jeden fall müßte
ich ihm als dem collegen und gesinnungsgenossen (!) des jetzigen ministers
des innern diese dinge nicht sagen, aus Allem dem gehe hervor, daß ich auf
eine veränderung im ministerium speculire, und dann mit einer raschen
Wendung hinzusetzend: wenn Bruck eine neue verwaltung organisiren
wolle, so möge er es thun (da hat er ziemlich richtig gesehen). mein Wink
wegen der staatskanzleyclique scheint übrigens seine Wirkung gethan zu
1 Andrian hatte am 22.11.1854 ein gesuch an den kaiser gerichtet, in dem er sich um eine
Anstellung im öffentlichen Dienst, vorzugsweise in der Diplomatie, bewarb; vgl. Einträge
v. 21. und 27.11.1854.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien