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Tagebücher194
haß, theilnahmslos für die deutsche einheit sowie für die russische frage,
der sich über ein Aufgehen Bayerns in oesterreich trösten würde, einstwei-
len aber lediglich auf die verbesserung der inneren Zustände Bayerns und
auf die festigung des constitutionellen Principes bedacht ist, für oesterreich
erwartet er baldigen umschwung im constitutionellen sinne und dann die
oberherrschaft über deutschland, wenigstens über den süden. Wie er, so
denkt die ganze große Parthey, an deren spitze er steht. ihr schiboleth und
nächstes Augenmerk ist jetzt die trennung der Justiz von der Administra-
tion in den untersten instanzen, um sodann, wie er mir sagt, das selfgovern-
ment, die begüterten und ansässigen Beamten wenigstens in administrativis
durchzusetzen. diese arriére pensée wäre nun allerdings sehr hübsch, aber
ob der Weg, den sie einschlagen, ein guter, ein nothwendiger ist? ist eine
andere frage, überhaupt scheinen er und die seinigen mir viel zu sehr am
constitutionalismus (im gegensatze zum ständischen Principe) zu hängen,
als daß ich von ihnen ein tüchtiges selfgovernment erwarten könnte, ich
fürchte, sie wissen nicht, was sie wollen.
Wie weit sind überhaupt wir Alle, die wir noch 1847 wie eine heerde
schafe nebeneinander herliefen, seitdem auseinandergekommen! und
da meine ich bloß die redlichen, consequenten, nicht die überläufer, er-
schreckten etc. Bloß in einem stücke sind wir jetzt noch einerley meinung,
und dieses ist der haß gegen den Absolutismus eines einzelnen.
ich aber bin stehen geblieben oder vielmehr mit klarerem Bewußtseyn
und entschiedenerem Willen zu dem, was ich 1847 wollte, zurückgekehrt,
nachdem ich dieses im Jahre 1848 momentan aufgegeben hatte, wähnend, es
sey unmöglich und bereits überschossen, und der damaligen Bewegung eine
allzugroße Bedeutung und lebensfähigkeit beymessend. Jetzt sympathisire
ich mit der aristokratisch ständischen Partey, wie sie in hannover, mecklen-
burg etc. wieder obenauf ist, und deren Bestrebungen niemanden verhaßter
sind als gerade lerchenfeld und seinen gesinnungsgenossen.
lord John russell, der jämmerliche hans dampf, ist endlich aus dem mi-
nisterium gejagt worden, welches er durch seine täppische Weise compro-
mittirt hatte, diese ewigen krisen und Parlamentsnergeleyen in england
schaden der kriegführung und dem Ansehen englands und seinen institu-
tionen. ich habe neulich mrs. norton wieder einen langen Brief geschrieben,
nachdem ich lange nichts von ihr gehört hatte, wie mir mein Bedienter eben
schreibt, hat der herzog von newcastle mir auf seiner durchreise durch
Wien ein Paket von ihr gebracht, es thut mir leid, daß ich die gelegenheit
versäumte, seine Bekanntschaft zu machen.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien