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Tagebücher218
[Paris] 7. october
meine negotiation wegen der Westbahn ist beendigt, und zwar in Anbetracht
der jetzigen geldklemme mit ziemlich gutem erfolge. meine vollmacht ist
mit den unterschriften laings und uziellis von london zurückgekommen,
und ich denke, nun in ein paar tagen nach Wien zurück zu kehren, ich freue
mich, daß ich trotz meiner neuheit und unerfahrenheit in diesen geschäf-
ten, aus welcher ich auch den leuten, mit denen ich zu thun hatte, gegen-
über kein geheimniß machte, zu einem resultate gekommen bin.
der panische schrecken an der hiesigen Börse dauert fort, die london-
erbank hat den disconto auf 5 1/2 % erhöht, der crédit mobilier fällt un-
geheuer, vielleicht speculiren seine chefs jetzt selbst auf die Baisse. man
behauptet noch immer, daß Pereire die errichtung eines crédit mobilier
für oesterreich in der tasche mitgebracht habe.
mittlerweilen hat Bruck zur herstellung der valuta einige maßregeln er-
griffen, der Bank sind staatsgüter im Werthe von 175 millionen überlassen
worden, zugleich soll sie – die Bank! – eine hypothekenbank für die ganze
monarchie – ! – mit einem stammcapitale von 20 millionen – !! – grün-
den. diese letztere operation scheint mir aber so widersinnig, daß ich nicht
daran glauben kann.
die Angelegenheit suez ist vor der hand durch lesseps’s ungeschick-
lichkeit auf die lange Bank geschoben.1 talabot, negrelli & c. wollen nun
selbst an ort und stelle gehen, um ein vernünftiges gegenprojekt auszuar-
beiten.
mrs. norton ist noch hier und reist am mittwoch zurück, sie ist ganz
praeoccupirt durch fletchers krankheit. Andral besteht auf einem wärme-
ren clima und will, daß er seine carrière aufgebe, da ihm jede Beschäfti-
gung schädlich sey, so ist denn jetzt beschlossen, daß er ein Jahr urlaub
nehmen und vor der hand nach capri gehen wird, seine madame (die ich
neulich, um fletcher eine freude zu machen, besuchte) begleitet ihn, da-
durch ist seine mutter verhindert, dasselbe zu thun, und das macht ihr viel
kummer.
unter diesen umständen tritt natürlich die politische seite unserer ver-
bindung in den hintergrund, doch habe ich auch in dieser Beziehung das
nöthige vorbereitet, namentlich hinsichtlich der englischen Presse, es ist
nothwendig, die leute in england endlich einmal darauf aufmerksam zu
machen, da sie es von freyen stücken nicht zu bemerken scheinen, daß in
oesterreich die regierung nicht das land sey, tant s’en faut, und daß es
sowohl im allgemein menschlichen als im speciell englischen interesse der
mühe werth ist, von unseren inneren Zuständen, von der lebensfähigkeit
1 vgl. dazu eintrag v. 18.5.1855.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien