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November 1855
umzusehen. er so wie ich und wir Alle, die weiter sehen, erblickt hierin nicht
bloß, nicht einmal vorzugsweise eine finanzielle, sondern noch weit mehr
eine politische Bedeutung, an der namentlich für den Adel und grundbe-
sitz nebst dem materiellen nutzen auch noch sein standesinteresse, ja seine
standesehre hängt. leider ist bey den meisten noch wenig verständniß in
dieser richtung, bey manchen Andern, was noch weit schlimmer, eine elende
gewissenlosigkeit und speculationssucht (da viele weit über ihre kräfte
zeichnen) zu finden. Andererseits sammeln sich um haber, dessen Bethei-
ligung an der sache ohnehin ein unglück ist, alle Aventuriers und Banque-
routiers des in- und Auslands wie die geyer um ein Aas, und er scheint, vor
der hand wenigstens, la haute main zu haben.
so sprach er sich gegen egbert (ich habe mich ihm und Allen Betheiligten,
mit einziger Ausnahme choteks, geflissentlich ferne gehalten) dahin aus,
daß er den verwaltungsrath nur stückweise und nach und nach besetzen
wolle, was natürlich in seinen kram paßt. dieses suchte ich nun bey Bruck
bey Zeiten zu hintertreiben, und da dieser darauf bestand, ich sollte wegen
meiner Wahl mit einem der granden sprechen, so entschloß ich mich end-
lich, obwohl widerstrebend, dazu und theilte chotek meine conversation mit
Bruck wörtlich mit, hinzufügend, daß ich ihm das Weitere überließe, er möge
thun, was er für angemessen halte. Auch egbert sprach in diesem sinne
mit fürst salm und Anderen, immer darauf bestehend, daß dem jüdischen,
speculativen elemente in der Administration quantitativ und qualitativ ein
gegen[ge]wicht aufgestellt werden müsse, wenn nicht die ganz sache um-
schlagen sollte. Bruck scheint mir in der ganzen sache trotz aller guten in-
tentionen mit ziemlichem leichtsinne vorzugehen, wie ich diesen überhaupt
in seinen maßregeln, mehr als mir lieb ist, bemerke.
Am 13. erschien das concordat, abermals ein meisterstück des leichtsin-
nes. niemand ist damit zufrieden als einige Bischöfe (nicht der clerus) und
Jene, die die schwächung der regierungsgewalt, die Brechung der staats-
omnipotenz um jeden Preis wollen, übrigens ist die Ausführung hier die
hauptsache. nachdem der nuntius nun seit monaten im lande herumge-
reist ist, um die Bischöfe in seinem sinne zu instruiren, erlaubt man ihm
nun sogar, hier eine versammlung sämmtlicher Bischöfe zu berufen!! ein
wahrer päbstlicher legat des mittelalters.1
1 das am 18.8.1855 geschlossene konkordat wurde mit kaiserlichem Patent v. 5.11.1855 am
13. november publiziert. kardinal michele viale-Prelà, der das konkordat für den vatikan
verhandelt hatte, blieb trotz seiner ernennung zum erzbischof von Bologna im september
1855 weiter bis August 1856 als Pronuntius in Wien, um die Ausführung des vertrags zu
garantieren. Zur einberufung einer allgemeinen Bischofsversammlung auf den 6.4.1856
kam es allerdings erst später, wobei sowohl der kultusminister (am 31. Jänner) als auch
der Pronuntius (am 6. märz) eine einladung aussandten.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien