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Februar 1856
zeigen, und unser junger herr wird sich wieder einmahl blamirt haben.
einstweilen aber jubelt Bruck und alle robert macaires in und außerhalb
oesterreich, welche seiner fahne nachgehen, denn die Juden und speculan-
ten haben nun ganz vollkommenes oberwasser, und man brauchte nun gar
keinen anderen gedanken mehr zu haben als gulden und kreuzer, und das
ist es, was mich mit Ärger und ekel erfüllt. Jede ernste honette idee, alle Po-
litik tritt in den hintergrund vor den materiellen unternehmungen, die jetzt
an der tagesordnung sind, und sollte es zum frieden kommen, so wird es
noch weit ärger werden. mir aber wird dadurch der Boden und die lebens-
luft abgeschnitten, denn an dieser neuen richtung habe ich keine freude
noch lust, obwohl ich in dieselbe mit gewalt hineingezwängt worden bin.
in Angelegenheiten der Westbahn habe ich in diesen tagen wiederholte,
mitunter ziemlich unangenehme discussionen und verhandlungen gehabt.
Bruck hat in seiner gewohnten Weise den concessionären die creditanstalt
und rothschild (von dem er täglich abhängiger wird) als mittheilnehmer oc-
troyirt, so daß ihnen nur wenig raum mehr übrig bleibt, und es gar nicht
unmöglich wäre, daß ich mit der Anfangs gehofften Betheiligung durchfiele
und dadurch meinen committenten erlanger und gabrielli gegenüber in
eine unangenehme stellung geriethe. mich ekelt das ganze Zeug, dieses feil-
schen und mäkeln an, und ich habe schon wiederholt es versucht, die ganze
sache Bruck zu überlassen, der aber sträubt sich dagegen, im Punkte der
delicatesse, dessen, worauf ein gentleman ehrenhalber Werth legt, denkt
der gute mann ziemlich lax und glaubt, mir seine freundschaft bewiesen zu
haben, wenn er mir eine persönliche stellung verschafft, ob er mich dabey in
mehr oder minder zweydeutige Positionen bringt, das findet er gleichgültig,
auch habe ich ihm erklärt, daß dieses das letztemahl ist, daß ich mich in der-
gleichen transactionen einlasse, sowie es das erstemahl gewesen ist.
mein hundsföttischer Advocat in görz hat mich vor einigen tagen in eine
große momentane verlegenheit gesetzt und mir einen bedeutenden pecuniai-
ren verlust zugezogen, mir bleibt nun nichts übrig, als zu versuchen, ob ich
nicht gegen ihn gerichtlich auftreten kann.
der fasching ist matt und langweilig, das Wetter warm, trüb und neblig,
thauwetter, kein schnee weit und breit zu sehen, ein wahres typhuswetter.
[Wien] 1. februar
nachdem wir diese ganze Zeit her warmes, mitunter beynahe frühlingswet-
ter gehabt haben, fällt seit heute wieder dichter schnee. der fasching geht
am 5. zu ende und ist sehr traurig, mehrere todesfälle und die krankheit
des alten fürstenberg, der seit 14 tagen im sterben liegt, haben das ihrige
dazu beygetragen, ich war nirgends, und selbst öffentliche Bälle habe ich nur
ein paarmale besucht, diese dinge fangen an mich zu langweilen, überhaupt
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien