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werde, binnen 3 Jahren das gleichgewicht zwischen Ausgaben und einnah-
men herzustellen, vorausgesetzt, daß der friede solange dauere, dann werde
er sich zurückziehen, er sey müde etc., larifari, eine weitere Ambition habe
er nicht, und ministerpräsident werden hieße nur, seine erworbene repu-
tation aufs spiel setzen etc. Auf meine denkschrift übergehend meinte er,
daß die idee des selfgovernment aus politischen gründen ganz und gar die
seinige sey, wenn er auch mein Argument der finanziellen nothwendigkeit
derselben nicht zugebe (!!), und eben so theile er meine Ansicht, daß jetzt
hand ans Werk gelegt werden und man den gegenwärtigen moment der
ruhe benützen müsse, um sein haus zu bestellen, die geldverhältnisse zu
ordnen und durch administrative und politische reformen die Zufriedenheit
im inneren herzustellen, um dann den Wechselfällen der europäischen Po-
litik kräftig und getrost ins Auge sehen zu können, daß er vor Allem eine
nationalvertretung im centrum der monarchie durch vom kaiser berufene
notabeln im Auge habe (worüber er jedoch noch nicht ganz im klaren zu
seyn scheint), und daß es ebenso nothwendig sey, endlich eine einheit in der
regierung, d.h. ein eigentliches ministerium mit einem ministerpräsidenten
herzustellen, während jetzt jeder minister an einem anderen strange ziehe,
und somit jede einheit unmöglich sey, in die näheren détails über das, was
er unter selfgovernment verstehe, ging er nicht ein, zum theile wohl, weil
er keine administrative Praxis hat, folglich diese dinge nur unvollkommen
kennt, ich fürchte, er glaubt, daß mit landesvertretungen und einer cen-
tralvertretung neben einer administrirenden Bureaukratie das Wesentlich-
ste gethan sey.
ich machte ihn darauf aufmerksam, daß eben die Brechung dieser Bu-
reaukratie vor Allem nothwendig sey, und darin die richtung unserer Zeit
liege, daß dazu mit theilweisen reformen nichts gethan sey, sondern von
oben herab dem ganzen system ein ende gemacht werden müsse, daß dazu
ein mann nothwendig sey, welcher nicht nur den erforderlichen muth, die
energie und praktische tüchtigkeit und geschäftserfahrung, sondern vor-
züglich auch das unbedingte vertrauen des kaisers besitzen müßte, um
durch die verdächtigungen des Beamtenstandes und die etwaigen über-
gangsschwankungen nicht beirrt zu werden, oder wenigstens hinter sich
die stütze eines mannes hätte, welcher (wie Bruck) dieses unbedingte ver-
trauen des kaisers besäße, daß es daher vor Allem seine Aufgabe sey, sich
mit mitarbeitern zu umgeben, während er jetzt nur offene oder versteckte
gegner habe, daß er zugleich aber auch daran denken müsse, sich ein organ
zu schaffen, welches nicht nur seine staatswirthschaftlichen und handels-
politischen idéen (wie es jetzt in der oesterreichischen Zeitung durch stein
geschieht), sondern auch jene andere richtung verträte, dadurch würde er,
wie dieses auch unumgänglich nothwendig sey, sich eine Parthey schaffen
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien