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Tagebücher264
schen gesellschaft, welche auf dem Punkte steht, vor halb europa zum ge-
spötte zu werden. die gründer sind unter sich uneinig, langsdorff kennt we-
der das terrain noch die Angelegenheit, wegen der er hier ist, Bruck mischt
sich heute in jede kleinigkeit, morgen wird er ungeduldig und läßt Alles im
stiche, so kömmt es, daß wir seit 2 monaten zurück statt vorwärts gegangen
sind. cordon hat vor 8 tagen seine demission gegeben, und das wäre inso-
ferne ein glück, als die gesellschaft dadurch ein auflösendes element und
bey seiner intimität mit Bruck die fortgesetzte einmischung dieses letzteren
los geworden ist. nun kömmt es darauf an, ob die concessionäre sich einen
neuen vorsitzenden selbst wählen oder sich denselben wieder werden oc-
troyiren lassen, und wer dieses seyn wird.1 talabot, welcher die einzige ca-
pacität unter ihnen zu seyn scheint, soll nächster tage kommen. Was mich
betrifft, so halte ich mich ganz ferne, um so mehr als ich eigentlich die un-
schuldige veranlassung dieses ganzen débacle bin.
Bruck aber gräbt sich, wie ich fürchte, langsam sein eigenes grab, haupt-
sächlich durch zwey dinge, das eine ist seine zweifelhafte reinheit im
Puncte des eigenen säckels, das Andere sein ewiges versprechen und nicht-
worthalten, worin er es wirklich zu einer wahren virtuosität gebracht hat,
letzteres erbittert die speculanten und überhaupt Jeden, der geschäfte mit
ihm hat, und Bach, dieser ausgezeichnete Jongleur, affektirt jetzt gerade die
beyden entgegengesetzten eigenschaften und spricht, als ein moderner cin-
cinnatus, jedem menschen von seiner Armuth.
Auch erlanger ist von frankfurt gekommen, um für sein durchfallen
bey der Westbahn einige entschädigung zu erhalten, und ich habe mir viele
mühe für ihn gegeben, aber nichts weiter erreicht als eine ganz winzig kleine
Betheiligung desselben bey der galizischen Bahn. Bruck scheint gegen mich
aufgebracht zu seyn, und zwar wegen meiner reibungen mit cordon, die
ihm dieser in seiner Weise wiedererzählt hat. ich habe ihn nun schon bald
drey Wochen nicht gesehen und habe auch gar keine lust, einen schritt ent-
gegen zu thun, er ist stufenweise in meiner Achtung gesunken und hat sich
von seiner eigentlichen Aufgabe seit anderthalb Jahren mit jeder Woche
mehr entfernt, jetzt erwarte ich kaum mehr etwas von ihm, fata trahunt,
nämlich uns und unsere jämmerlichen Zustände, je schneller desto besser,
am allerärgsten wäre ein marasmus wie von 1820 bis 1848.
ich habe mich mit g. diezel in correspondenz gesetzt und hoffe, ihn hier
bey einer meiner eisenbahngesellschaften unterzubringen. das ist der si-
cherste und unauffälligste Weg, um ihn hier zu fixiren und ihn dann auf
dem publicistischen felde zu beschäftigen, es muß dabey sehr vorsichtig zu
1 neuer Präsident der Actien-gesellschaft der lombardisch-venetianischen eisenbahnen
wurde graf franz (ferenc) Zichy, vgl. eintrag v. 18.8.1856.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien