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Juli 1857
mit kurzer unterbrechung seit ende märz), so muß ich sehr oft zur stadt
fahren, in letzter Zeit 3, auch 4mal in der Woche, was bey der grausamen
hitze des dießjährigen sommers (heute hatten wir seit monathen den er-
sten regen) oft sehr beschwerlich ist. Zudem sind bey der Westbahn gerade
jetzt die allerwichtigsten fragen in verhandlung: die Ablösung der Budweis-
linz-gmundner Bahn, die vergebung der lambach-salzburgerstrecke, die
Ausführung des Beschlusses wegen rückkauf von 15 millionen in Actien,
der Bahnhof in Wien, die Abänderung einiger Punkte unserer statuten, die
regulirung respective erhöhung der gehalte unserer Bureaubeamten, eine
übereinkunft mit den oberösterreichischen kohlenwerkgesellschaften, die
Ausschreibung der locomotive und Waggons etc. Auch in der italienischen
gesellschaft sind es hauptsächlich die wachsenden reibungen zwischen dem
conseil in Bologna und der internationalen commission einer- und unserem
generaldirector und seinen subalternen andererseits und die Abgrenzung
der Wirkungskreise Beyder, welche viel zu thun geben, in letzterer Bezie-
hung war vor einiger Zeit graf marescalchi aus Bologna in einer special-
mission da, ich suchte da (da Zichy abwesend war) zu vermitteln, was ich
mit einigem erfolge gethan zu haben glaube. Wirklich ist das unrecht auf
beyden seiten. nur Zichy, so oft er hier ist, fährt mit rücksichtsloser Par-
theilichkeit dazwischen, er ist so vollkommen im sacke talabots und folglich
seiner creaturen, daß er sich dabey oft die ärgsten Blößen gibt, der mann ist
ein gemisch von gewinnsucht, leidenschaftlichkeit, Pfiffigkeit und energie,
ein homme d’affaires zweyten ranges, aber geschickt und thätig und mit
einem merkwürdigen takte, sich immer dem stärkeren anzuschließen. Jetzt
arbeitet er daran, die leitung der ganzen unternehmung nach mailand (wo
sein künftiger Aufenthalt seyn wird) zu ziehen, ganz entgegen der ursprüng-
lichen und sehr richtigen idée der regierung, ich arbeite natürlich dagegen,
muß aber, um entschieden auftreten zu können, zuvor erst unabhängiger
gestellt seyn, als ich es jetzt bin.
Am 26. fahre ich zur eröffnungsfeyer nach triest und denke am 30. wie-
der hier zu seyn. es wird seit Jahren wieder das erstemahl seyn, dass ich
mich in der unmittelbaren nähe des kaisers befinden werde.
hier lebe ich noch immer so einsam wie im Anfange, es ist niemand hier,
mit dem ein näherer umgang der mühe lohnen würde. übermorgen fahre
ich nach Wien, um eötvös auf seiner durchreise zu sprechen.
Pizzamano, der directe von Jerusalem kömmt, war gestern hier und spei-
ste bey mir. die suezfrage, welche in letzter Zeit Bruck und mich wieder
ziemlich stark beschäftigte, scheint im englischen ministerium, namentlich
durch lord stratfords eigensinn, auf sehr bedeutende hindernisse zu stoßen.
Bérangers leichenbegängniß ist wieder ein symptom der abnehmenden
stärke des napoleonischen regimentes, übrigens ehren solche demonstra-
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien