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Tagebücher320
der Aufstand in ostindien ist jetzt das vorwiegende ereigniß, veranlaßt
durch den tölpelhaften eifer der protestantischen missionäre.1 Wäre ich mi-
nister in oesterreich, ich würde england 20.000 mann zur verfügung stellen
und dagegen nichts verlangen, als 1. Aufgebung des Widerstandes gegen den
suezcanal, 2. Abtretung eines landstriches an der westlichen küste ostindi-
ens oder ceylons, um dort unter dem schutze eines österreichischen gouver-
neurs und einer österreichischen escadre eine niederlassung für deutschen
handel etc. zu gründen. Bruck hätte für dergleichen sinn, aber Buol ist ein
bloßer routinier und erschrickt vor Allem.
übrigens hat sich Bruck durch sein Projekt einer erhöhung der Besteue-
rung des rübenzuckers einen neuen und starken feind auf den hals gela-
den, denen Bach als neuester Patron der landwirthschaft und des grundbe-
sitzes (!!) zur seite steht. Anfangs dieses monats war zur erörterung dieser
frage von Bruck ein congress der Betheiligten hier vereinigt worden, der
sich aber in sehr gereizter stimmung trennte. man erwartet nun mit näch-
stem die entscheidung.
Wien 8. August
seit 3. bin ich wieder in der stadt, die hitze ist fürchterlich und seit vielen
Jahren nicht erhört [sic], hoffen wir, daß sie bald vorüber sey, denn sie wird
selbst mir, dem es sonst nicht leicht zu warm ist, unerträglich. übermorgen
Abends reise ich ab. diezel habe ich mir nach leipzig bestellt, er hat mir so
eben eine Broschüre politische resultate der letzten 10 Jahre zugeschickt,2
welche ihm, wie zwischen ihm und mir ausgemacht worden war, die rück-
kehr nach oesterreich erleichtern sollte. doch bin ich mit derselben nur
halb zufrieden, es ist eine seiner schwächeren Arbeiten, und ich zweifle, daß
die form und die sprache hier gefallen werden. demungeachtet will ich sie
Bruck übergeben und sehen, ob es nicht möglich ist, die erlaubniß seines
hieherkommens zu erwirken.
die Weltverhältnisse verwickeln sich wieder. frankreich, rußland, Pie-
mont und – – Preußen!! haben ihre diplomatischen verbindungen mit der
1 der im mai 1857 ausgebrochene große Aufstand gegen die britische herrschaft in nord-
ost- und Zentralindien wurde von revoltierenden einheimischen hilfstruppen (sepoys) der
Briten getragen und durch den Abzug mehrerer regimenter in folge des krim- und persi-
schen kriegs erleichtert. Auslöser war die einführung eines neuen dienstgewehrs, wobei
die kappe der in rinder- und schweineschmalz getränkten Patronen abgebissen werden
musste. dies wurde von den moslemischen und hindi-soldaten als religiöser Affront be-
trachtet. die Aufstände konnten nach massiven truppenverstärkungen erst im lauf des
frühjahrs 1858 endgültig niedergeschlagen werden.
2 gustav diezel, Politische resultate der letzten 10 Jahre für deutschland (gotha 1857).
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien