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Diffamierbarkeit und Strittigkeit gelten bloß als Störfaktor und Hindernis, das elimi-
niert werden muss. Damit wird jedoch auch die Historizität der sozialen Phänomene,
die nur existieren, weil es eine Auseinandersetzung über ihre Existenz und Identität gab
und gibt, eliminiert.36
Demgegenüber steht am Beginn meiner Untersuchung keine Definition, wer Musi-
kerIn (oder: BerufsmusikerIn, AmateurmusikerIn, KunstmusikerIn etc.) war. Die
Selbst- oder Fremdbezeichnung als MusikerIn war Bestandteil der Konflikte zwischen
Musizierenden und anderen Akteuren um die ‚richtige‘ Art, Musik zu machen.
Bei der Untersuchung sozialer Phänomene ist darauf zu achten, wer eine Praktik
ausübt oder darüber spricht, und welche Position dieser Akteur gegenüber anderen
einnimmt: „[…] dass nämlich jene erste Neigung, die soziale Welt realistisch zu den-
ken,
[…] mit allen Mitteln bekämpft werden muss: man muss relational denken.“ 37
Dies gilt auch für die Analyse von Arbeitsbegriffen und -praktiken: Diese werden
von spezifischen sozialen Akteuren in bestimmten Positionen gegenüber anderen
Begriffen und Praktiken eingesetzt und verfügen über mehr oder weniger Legitimi-
tät. In meiner Untersuchung werde ich mich auf diese grundsätzlichen Überlegun-
gen zum sozialen Raum und seinen Subräumen beziehen, ohne allerdings – wie es
Bourdieu selbst mehrmals getan hat 38
– zu versuchen, für unterschiedliche Praktiken
spezifische Kapitalausmaße und Kapitalanteile anzugeben.39 Vielmehr ist das Ziel
meiner Untersuchung die Identifizierung und Benennung der unterschiedlichen
Formen mittels einer spezifischen Tätigkeit – des Musizierens – zu arbeiten bzw.
nicht zu arbeiten, sowie die Darstellung ihrer Beziehungen zueinander.
Für die Verwendung der dargestellten Konzepte Bourdieus ist u. a. der Begriff des
„Feldes“ wichtig. Felder im Bourdieu’schen Sinne stellen die „objektiven Relationen“
zwischen unterschiedlichen strukturellen Positionen in einem bestimmten Bereich
dar.40 So kann es das Feld der Kunst oder das Feld der Wissenschaft ebenso geben
wie allgemeinere und umfassendere Felder (etwa das Feld der Macht oder der sym-
bolischen Produktion). Diese können sich überschneiden oder in anderen Beziehun-
gen zueinander stehen. Da meine Untersuchung die unterschiedlichen Positionen in
36 Wadauer, Der Arbeit nachgehen, 27 f.
37 Bourdieu, Praxis, 262.
38 Vgl. z. B. Bourdieu, Unterschiede.
39 Eine derartige Konstruktion des sozialen Raumes gestaltet sich für historische Forschung
aufgrund der Quellenlage naturgemäß schwierig. So lassen sich auch zu den Personen, deren
lebensgeschichtliche Erzählungen in dieser Untersuchung für mich einen wichtigen Quellen-
typus darstellen, nur selten Daten zu formalen Ausbildungen oder Einkommen – zweifellos
wichtige Bestandteile des Kapitals einer Person – finden.
40 Bourdieu, Praxis, 126 ff. Forschungsprogramm 17
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Über die Produktion von Tönen
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Title
- Über die Produktion von Tönen
- Subtitle
- Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Author
- Georg Schinko
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20802-0
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
- Category
- Kunst und Kultur