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2. DIFFERENZIERUNGEN VON MUSIZIEREN
Musizieren zu Beginn des 20.
Jahrhunderts war durch eine Reihe vorhergegangener
ökonomischer, sozialer und technischer Entwicklungen geprägt. So zutreffend diese
Aussage auch ist, vernachlässigt sie doch den Blick darauf, dass es ‚das Musizieren‘
bzw. einen relativ homogenen Beruf ‚des Musikers/der Musikerin‘ nicht gab. Musi-
zieren war zu diesem Zeitpunkt schon seit Langem ein vielfältiges und divergentes
Feld, sodass unterschiedlich konnotierte Formen des Musizierens vielfach gar nicht
mehr als dieselbe Tätigkeit wahrgenommen wurden. Ein Bettelmusikant verdiente
nicht nur ein Vielfaches weniger als ein Konzertvirtuose, seine Tätigkeit war auch
gänzlich anderen Bewertungskategorien und Differenzierungen unterworfen. Eine
allgemeine Geschichte des Musizierens läuft daher immer Gefahr, spezifische For-
men des Musizierens – und damit die Perspektiven spezifischer Akteure auf Musi-
zieren – zugunsten einer kohärenten Erzählung in den Vordergrund zu stellen.1
Und schon eine taxative Aufzählung von Musizierformen müsste sich für eine von
mehreren Kategorisierungsprinzipien entscheiden: Gab es, wie es Matzke 1927 pos-
tulierte, „Profanmusiker“ und „Kirchenmusiker“, „seriöse Musiker“, „Genossen der
leichteren Muse“ und „fahrendes Volk“?2 Oder gab es, nach der Unterteilung der
Musikergewerkschaft im Austrofaschismus, „Musiker in Jazzkapellen“, „Klavier-
spieler“, „Schrammelmusiker und -sänger“, „Zigeunermusik“, „Harmoniemusik“
und „Militärmusik“?3 Sollten Musizierende nach gewerkschaftlicher Perspektive in
BerufsmusikerInnen und AmateurInnen geteilt werden oder nach musikästhetischer
Perspektive in KünstlerInnen und Nicht- KünstlerInnen?
Die bisherige wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Musizieren in histori-
scher Perspektive hat dazu tendiert, sich auf jeweils bestimmte Formen des Musi-
zierens oder auf bestimmte musikalische Genres zu konzentrieren. Oftmals wurden
diese Formen oder Genres – explizit oder implizit – als ‚das Musizieren‘ einer
Periode oder einer Gesellschaft an sich präsentiert. In der musikwissenschaftlichen
Rezeption etwa ist der ‚ästhetische Wert‘ von Musik ein zentrales Kriterium für
die Entscheidung, welche Formen und Genres untersuchenswert sind und welche
nicht.4 Diese Kategorisierung scheint dermaßen legitim und selbstverständlich zu
1 Wadauer, Der Arbeit nachgehen, 27 f.
2 Matzke, Musikökonomik, 40.
3 Der Österreichische Musiker (1935), Nr. 2, 1 f., hier 2.
4 „Der mehr stillschweigende als explizite Konsens über die kunstideologischen (statt
erkenntnistheoretischen) Voraussetzungen des Fachs führte ebenso stillschweigend zu
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Über die Produktion von Tönen
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Title
- Über die Produktion von Tönen
- Subtitle
- Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Author
- Georg Schinko
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20802-0
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
- Category
- Kunst und Kultur