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manchen Vertretern des Austrofaschismus.72 Der Konflikt darum, wer gegen (fall-
weisen oder regelmäßigen) Verdienst musizieren dürfe, betraf einen Großteil der
Musizierenden in Österreich. Die Musikerverordnung von 1934 bedeutete eine
radikale Neuausrichtung des staatlichen Umgangs mit Musizieren, da nun erst-
mals seit mehr als 150 Jahren – d. h. seit der Abschaffung der Musikerzünfte – der
Anspruch formuliert wurde, einen Großteil des erwerbsmäßigen Musizierens zu
kontrollieren und dessen Qualität zu überprüfen. Es ist wegen der kurzen Dauer des
Austrofaschismus sowie der mehrjährigen Übergangsbestimmungen nicht festzu-
stellen, ob dieser Versuch zu dieser Zeit gelingen konnte, denn in den ersten Jahren
der Musikerverordnung gab es Widerstand nicht nur von den Organisationen der
NichtberufsmusikerInnen, sondern auch von verschiedenen Verwaltungsbehörden
vor allem außerhalb Wiens.73
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1938 wurden alle gewerb-
lich tätigen MusikerInnen Österreichs in die Reichsmusikkammer eingegliedert,
in der – weitgehend analog zur Musikerverordnung – ebenfalls der Nachweis der
musikalischen Befähigung mittels Lizenzkarte verlangt wurde.74 Die Reichsmusik-
kammer ging allerdings in ihrem Anspruch einer „totalen Erfassung des deutschen
Musiklebens“ 75 – abgesehen vom Ausschluss „nicht- arischer“ MusikerInnen und
politisch Andersdenkender aus dem Musikleben – um einiges weiter, da in ihr
auch Land- und LaienmusikerInnen, KomponistInnen, MusikalienhändlerInnen
etc. vertreten waren.76 Es ist aber zumindest bemerkenswert, dass im Verhältnis zur
72 So schrieb etwa Joseph v. Rinaldini
– Bundeskulturrat und ab 1934 Leiter des Arbeitskreises
Musik der Kulturabteilung der Vaterländischen Front – für das Druckwerk des Reichsver-
bandes. Vgl. Der österreichische Land- und Volksmusiker (1936), Nr. 4, 1 f.
73 Vgl. etwa eine Stellungnahme der Bezirkshauptmannschaft Bludenz: „Die Handhabung der
mehrerwähnten Verordnung nach den von Geldbedürfnis geleiteten Intentionen der Kapell-
meisterunion und des Musikerringes wird zur Zerstörung der Musikvereine und des aus-
übenden Musiklebens dort führen, wo die Verhältnisse so gelagert sind, wie gerade in Vor-
arlberg“ (Landesarchiv Vorarlberg, Bezirkshauptmannschaft Bludenz I, II-1934/Zl. 2.348,
Bezirkshauptmannschaft Bludenz, Kapellmeister- und Musikerverordnung, Beschwerden
über deren Durchführung, 29.
November 1934, 4) oder eine der Bürgermeisterkonferenz des
Verwaltungsbezirkes Amstetten: „ganz unerschwingliche Belastungen, die den Untergang der
Landmusikkapellen unvermeidlich herbeiführen würden“ (Österreichisches Staatsarchiv, AVA,
Bundesministerium für Unterricht, Musikwesen, 1935, Zl. 28.642, Vorsitzender der Bürger-
meisterkonferenz, Schreiben an das Ministerium für Unterricht, 24. August 1935).
74 Thrun, Errichtung, 76 f.; Wicke, Dienstleistung, 229.
75 Thrun, Errichtung, 80.
76 Thrun, Errichtung, 78 f. Vgl. aber auch den ebenfalls weitreichenden Vorschlag der Kapell-
meisterunion zur Schaffung einer Musikerkammer, in der auch KomponistInnen, volks-
tümliche MusikerInnen etc. vertreten sein sollten (Österreichisches Staatsarchiv, AVA,
Differenzierungen und Konflikte 1918 – 1938 37
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Über die Produktion von Tönen
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Title
- Über die Produktion von Tönen
- Subtitle
- Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Author
- Georg Schinko
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20802-0
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
- Category
- Kunst und Kultur