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war und von vielen in Zweifel gezogen wurde. Während es verschiedene legitime
Arten gab, nicht zu arbeiten, wie etwa Arbeitslosigkeit oder Ausbildung,93 so erschien
es suspekt, während der Nicht- Arbeit Arbeit vorzutäuschen.94 Die unterschiedlichen
Bewertungen von Musiziertätigkeiten und die damit verbundenen Konsequenzen
sollen hier kurz thematisiert werden.
Eine vonseiten des Staates offiziell als Nicht- Arbeit deklarierte Form des Musi-
zierens stellten die Lizenzen für Bettelmusik dar.95 Die in der Zwischenkriegszeit
noch weitgehend angewandten Bestimmungen dafür gingen auf ein Hofkanzlei-
dekret von 1821 zurück, in dem verfügt wurde:
Es mußte zugleich auffallen, daß nicht bloß krüppelhafte, sondern auch gesunde, zu anderem
Erwerbe fähige Personen als Bänkelsänger, Leiermänner und Musikanten, eigentlich aber
als Müßiggänger und Bettler von Haus zu Haus herumziehen, durch ihre Zudringlichkeit
den Einwohnern zur Last fallen, und zum Theil selbst die Sicherheit gefährden.
[…] den
Auftrag zu erlassen, daß in der Regel von nun an keine sogenannte Bettelmusik licenzen
ertheilt werden sollen. Nur insofern solche Musiklicenzen als ein unentbehrliches Aus-
hilfsmittel für jene, nicht in bedeutender Zahl vorhandenen unglücklichen Personen
nothwendig werden, die von Natur zu jedem anderen Erwerbe durchaus unfähig sind
[…]
wurde eine Ausnahme von der allgemeinen Regel gestattet.96
Der Argwohn gegenüber (mobilen) Musizierenden und der Versuch, sie unter
Kontrolle zu bringen, waren zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht grundlegend
neu. Musizierende, die keine Anstellung vorweisen konnten, gerieten zumindest
bereits seit dem Ende des 18. Jahrhunderts in den Fokus der Aufmerksamkeit von
Behörden. Bereits 1786 konnten MusikantInnen, „die einzig auf solche Art sich zu
93 Wadauer, Der Arbeit nachgehen, 11.
94 „Gerade die festgewurzelte Arbeitsscheu ist es, welche sich hinter dem Scheine irgend eines
Gewerbes verbirgt, das thatsächlich keines ist. Hieher gehören alle die zahlreichen Schein-
beschäftigungen, welche der Landstreicherei eine Firma, ein Aushängeschild geben, und
die schon in den Verordnungen des vorigen Jahrhunderts ungezähltemale hervorgehoben
wurden und nur den Zeitläufen entsprechend […] ihre Gestalt wechselten. Als Hadern-
sammler, Taschenkünstler, Viehtreiber, Hausirer, Musikanten, Kessel- und Pfannenflicker
u. s. w. tauchen sie auf, mit und ohne behördliche Lizenz, und dieser Schein schafft ihnen
auch heute noch eine Art Vagabundenprivilegium. Die Noth des Augenblicks
[…] zeugt die
Hinausgabe von Licenzen, um sich überflüssiger und lästiger Leute zu entledigen.“ (Hoegel,
Straffälligkeit, 126).
95 Vgl. dazu auch Hawkins, Industry.
96 Hofkanzleidekret vom 29.
Mai 1821 an die niederösterreichische Regierung, Zl.
14.617, zitiert
nach Mayrhofer, Handbuch, 1356.
Differenzierungen und Konflikte 1918 – 1938 41
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Über die Produktion von Tönen
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Title
- Über die Produktion von Tönen
- Subtitle
- Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Author
- Georg Schinko
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20802-0
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
- Category
- Kunst und Kultur