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unselbstständigen Musizierens ist nicht festzustellen. Dies wurde noch gefördert
dadurch, dass auch dafür zuständige Verwaltungsbehörden oftmals entweder wenig
Interesse an der Vereinheitlichung der rechtlichen Regelungen für Musizieren hatten
oder sich nicht entscheiden konnten, welche Rechtsansicht in strittigen Fragen zur
Geltung kommen sollte.123 1888 wurde in Österreich die Krankenversicherung für
ArbeiterInnen eingeführt, 1906 die Pensions- und Krankenversicherung für Ange-
stellte,124 1919 der Achtstundentag in Industrie, Gewerbe und Handel und 1920 die
Arbeitslosenversicherung für einen weiten Kreis von ArbeitnehmerInnen.125 Diese auf
den ersten Blick als fortschreitende soziale Absicherung unselbstständiger Beschäf-
tigungsverhältnisse verständliche Entwicklung wird komplizierter, wenn die Vielfalt
an Arbeits- und Nichtarbeitsverhältnissen von Musizierenden berücksichtigt wird.
Welche Musizierenden waren ArbeiterInnen, welche Angestellte? Wer war selbst-
ständige/r Gewerbetreibende/r, wer unselbstständige/r ArbeitnehmerIn und wer war
sein/e ArbeitgeberIn? Die unterschiedlichen Antworten auf diese Fragen bringen
oft keine Klarheit darüber, zeigen aber Hierarchisierungen und Differenzierungen
von Musizierenden an.
Die Kategorisierung als Angestellte/r brachte den Zugang zu unterschiedlichen
arbeits- und sozialrechtlichen Ansprüchen mit sich. Angestellte waren seit 1906 pen-
sionsversichert (sofern sie mehr als 600 Kronen im Jahr verdienten 126) und hatten
tendenziell mehr Rechte gegenüber ArbeitgeberInnen, etwa im Kündigungsfall.127
Die Pensionsversicherung für Angestellte, wie sie in einer Novelle von 1914 kon-
kretisiert wurde, beinhaltete allerdings eine weitere Differenzierung neben Arbei-
terInnen und Angestellten: „Tänzer und Tänzerinnen, das artistische Personal von
Varietés und Zirkusunternehmungen, ferner alle Angestellten jener Bühnen- und
123 „Der Polizei gilt die Musik einfach als Ruhestörung, die öffentliche Produktion als ein
Delikt […] So wird das niedere Musikwesen als öffentliche Lustbarkeit taxiert und als
Anhang zum Schankgewerbe betrachtet […] Die Behörden sind jetzt ratlos und darum
inkonsequent. Sie wissen nicht, wie sie sich zu den Musikern stellen sollen. […] Nach dem
Vagabundengesetz können sie doch nicht amtshandeln, was ihnen vielleicht am einfachsten
und praktischsten erschiene, das gewerbliche Recht dünkt ihnen inapplikabel, zumal ihnen
die Definitionen über Kunst und Gewerbe fehlen, die Unterscheidungsmerkmale zwischen
gewerblichem und künstlerischem Betrieb der Musik unbekannt sind“ (Österreichische
Musiker- Zeitung (1906), Nr. 27, 173 – 174, hier 174); Vgl. auch Oesterreichische Musiker-
Zeitung(1914), Nr. 15, 117 – 118.
124 Tálos, Sicherung, 17.
125 Ebd, 23 f.
126 Gesetz vom 16. Dezember 1906, RGBl Nr. 1, betreffend die Pensionsversicherung der in
privaten Diensten und einiger in öffentlichen Diensten Angestellten.
127 Vgl. etwa Gesetz vom 16.
Jänner 1910, RGBl Nr.
20, über den Dienstvertrag der Handlungs-
gehilfen und anderer Dienstnehmer in ähnlicher Stellung (Handlungsgehilfengesetz).
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Über die Produktion von Tönen
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Title
- Über die Produktion von Tönen
- Subtitle
- Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Author
- Georg Schinko
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20802-0
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
- Category
- Kunst und Kultur