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Der Begriff der lebensgeschichtlichen Erzählungen bezeichnet ein weites Feld von
Schreib- und Erzählformen, in denen jemand sein/ihr eigenes Leben oder Teile
davon zum Thema der Erzählung macht. Lebensgeschichtliche Erzählungen können
nicht nur Autobiografien sein, sondern auch Tagebücher, Chroniken, Bewerbungs-
schreiben, Interviews etc. Der Begriff ist weitgehend deckungsgleich mit jenem der
Ego- Dokumente, welcher allerdings u. a. aufgrund seiner problematischen Bezeich-
nung derzeit nur eingeschränkt verwendet wird.3
In diesen lebensgeschichtlichen Erzählungen wurden nicht vorrangig die offi-
ziellen Perspektiven von Organisationen wie Staat oder Gewerkschaften auf Musi-
zieren dargestellt (wenn sie auch nicht von diesen unabhängig waren), sondern vor
allem die Perspektiven jener, die innerhalb und außerhalb dieser Organisationen
musizierten. Um möglichst viele Perspektiven einzubeziehen, wurden nicht nur
Autobiografien im engeren Sinne bzw. autobiografische Textformen 4 verwendet,
sondern alle Arten von Erzählungen, die in irgendeiner Weise die Person des/der
Erzählenden zum Thema der Erzählung machten, sei es in Autobiografien, Memoi-
ren, Tagebüchern oder Interviews (zur Auswahl der Erzählungen siehe Kapitel
3.3). Diese (im Vergleich zur ausschließlichen Verwendung von Autobiografien)
heterogene Auswahl erschwert allgemeine Aussagen über den Kontext der Quel-
lenproduktion, ermöglicht dafür aber nicht nur die Ausweitung der Perspektiven,5
sondern auch ein Verständnis der Erzählform als eine von mehreren relevanten
Eigenschaften einer Position. Natürlich waren auch in lebensgeschichtlichen
Erzählungen nicht alle Perspektiven gleichermaßen vertreten, wie etwas weiter
unten ausgeführt wird. Während das Verfassen der eigenen Memoiren für populäre
und/oder künstlerisch tätige Musizierende fast schon eine Selbstverständlichkeit
war, sind lebensgeschichtliche Erzählungen von BettelmusikantInnen schwer zu
finden. Dennoch bringt die Verwendung von lebensgeschichtlichen Erzählungen
gegenüber der ausschließlichen Fokussierung auf die oben angeführten Quel-
len eine Erweiterung des Verständnisses der unterschiedlichen Perspektiven auf
Musizieren mit sich.
3 von Greyerz, Ego- Documents, 277 ff.
4 Vgl. Jancke, Texte.
5 Vgl. James Amelang über die Kategorie der Ego- Dokumente: „they can address the central
dilemma posed by the literary history of autobiography: the disproportion between so much
sophisticated analysis of so few texts.“ (Amelang, Autobiography, 69). Vgl. auch Schulze, Ego-
Dokumente, 25 f.; Ulbrich u. a., Selbstzeugnis, 1.
Lebensgeschichtliche Erzählungen als historische Quelle 75
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Über die Produktion von Tönen
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Title
- Über die Produktion von Tönen
- Subtitle
- Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Author
- Georg Schinko
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20802-0
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
- Category
- Kunst und Kultur