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Passus bis zum Ende der Zwischenkriegszeit Gültigkeit behielt) die „Ausübung
der schönen Künste“ aus ihrem Anwendungsbereich aus.8 Doch noch im Jahre 1932
herrschte bei den zuständigen Behörden Uneinigkeit über die Interpretation der
Gewerbeordnung in Bezug auf Musizieren, sodass sich das Bundesministerium für
Handel und Verkehr zu einem Rundschreiben an die Landesbehörden veranlasst
sah. In diesem wurde festgestellt:
Unter ‚Ausübung der schönen Künste‘ ist […] jede Betätigung künstlerischer Richtung
und Qualität
[…] zu verstehen. Das Kriterium für die ‚Ausübung der schönen Künste‘ ist
also nicht in der Originalität des künstlerischen Produkts und der schöpferischen Betä-
tigung, sondern in der Qualität der künstlerischen Leistung zu suchen, weshalb es an
einem objektiven und absolut verlässlichen Masstab dafür gebricht, wie weit bezw. eng
die Grenzen des Begriffes ‚Ausübung der schönen Künste‘ zu ziehen sind.9
Das Kriterium der „Qualität der künstlerischen Leistung“ rekurrierte trotz der
angesprochenen Problematik eines „objektiven und verlässlichen Maßstabs“ dafür
auf Begriffe, die eine Messbarkeit von Kunst implizierten: Musikalisches Auftreten
verfüge über mehr oder weniger künstlerische Leistung und könne dementspre-
chend klassifiziert werden. Dass im Übrigen im Einzelfall wenige Schwierigkeiten
auftraten, „weil auch die wenigen vom künstlerischen Standpunkt in der Theorie
heikel erscheinenden Grenzfälle nach der bestehenden Praxis der zuständigen
Verwaltungsbehörden immer reibungslos nach einer oder der anderen Richtung
entschieden werden können“,10 ist wohl auf die in der Logik der Praxis 11 ange-
legte flexible Verwendung des Kunstbegriffs zurückzuführen. Wie diese aussehen
konnte, zeigen etwa die Entscheidungen von Arbeitsgerichten, in denen die Frage
gestellt wurde, ob Musizieren im jeweiligen Fall einen „höheren Dienst“ dar-
stellte, was oftmals die Frage nach dem künstlerischen Wert oder Charakter des
Musizierens einschloss. In einer Reihe von Entscheidungen wurde Kunst etwa
über ihren Gegensatz zur Gebrauchsmusik (die bloß Stimmung erzeugen wollen
würde)12 oder aber als „schöpferische Gestaltungskraft“ und „Neuschöpfung des
Tonstückes aus der Seele des Musikers“ 13 charakterisiert, KünstlerIn- Sein über die
8 Kaiserliches Patent vom 20. December 1859 womit eine Gewerbe- Ordnung für den ganzen
Umfang des Reiches erlassen wird, Artikel V Punkt c.
9 Österreichisches Staatsarchiv, AVA, Bundesministerium für Unterricht, Musik in genere, 1932,
Zl. 10.718, Musikergewerbe, 7.
10 Ebd., 8.
11 Bourdieu, Entwurf, 248 f.; vgl. auch Wadauer, Distinctions, 37 f.
12 Bundesministerium für Justiz (Hg.), Sammlung. 6. Jahrgang, 220 ff.
13 Bundesministerium für Justiz (Hg.), Sammlung. 8. Jahrgang, 264.
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Über die Produktion von Tönen
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Title
- Über die Produktion von Tönen
- Subtitle
- Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Author
- Georg Schinko
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20802-0
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
- Category
- Kunst und Kultur