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sondern um ästhetische Konkurrenz: Wer war besser geeignet für diese oder jene
Opernrolle, wer konnte diesen oder jenen Komponisten am besten interpretieren? Die
Beschreibung von Konkurrenz stellte – ebenso wie das Nennen von musikalischen
Vorbildern und das Beschreiben persönlichen Kennenlernens von Berühmtheiten
–
einen Bezug zu anderen anerkannten KünstlerInnen wie auch zu als künstlerisch
wahrgenommenen Rollen und KomponistInnen her und verstärkte den Anspruch,
im selben Kontext wie diese wahrgenommen zu werden. Gleichzeitig wurde damit
ein Milieu konstruiert, in dem musikalisches Können und individuelle Weiterent-
wicklung wichtig waren:
Wenige Zeit später bekam ich die erste wirklich hübsche Partie: die Anna in den ‚Lustigen
Weibern‘. […] Ich lernte mit Feuereifer, war mir doch versprochen worden, daß ich am
Sonntag nachmittag singen dürfe. […] Mein Rollenhunger war geweckt, seit mich zum
erstenmal freundlich gemeinter Applaus belohnt hatte.39
Ebenso wurden musikalische Fähigkeiten und deren Fehlen angesprochen: Die
Erwähnung eigener Fähigkeiten, der Vergleich mit anderen MusikerInnen und
die Beurteilung anderer MusikerInnen. Die Bandbreite der Urteile konnte von
der schlichten Aussage „ein guter/schlechter Musiker“ bis hin zu einer elaborier-
ten Huldigung der Musiziertechnik und Herangehensweise ans Musizieren, die
eine Person kennzeichneten, reichen. Wichtig war das Vorhandensein einer Hier-
archie von Leistungen und Personen, in die man sich selbst und andere einordnen
konnte. Dieser Bezug fehlte bei sich negativ auf Kunst beziehenden Erzählungen
weitgehend. Hier wurden weder die eigenen Fähigkeiten thematisiert noch andere
MusikerInnen beurteilt. Mit dem fehlenden Bezug auf den Aspekt des Könnens
positionierten sich diese Musizierenden als solche, für die die Qualität von Musik
keine Bedeutung hatte. Der Mangel an Hierarchisierung verwies letztlich auf die
nur untergeordnete Bedeutung von Musik im Leben dieser ErzählerInnen,
– denn
Hierarchisierung, Kategorisierung und Beurteilung sind Prozesse, die die Relevanz
des Beurteilten kennzeichnen. Dieser Mangel wird aber auch klarer, wenn man die
Bedingungen des Musizierens in vielen dieser Erzählungen betrachtet: Es ging viel-
fach nicht darum, wie, sondern dass überhaupt musiziert wurde. Im Gegensatz zu
den Künstlererzählungen konnte für die nicht- künstlerisch Musizierenden bereits
das Nichtvorhandensein von Auftrittsgelegenheiten, Mitmusizierenden oder Instru-
menten zum Hindernis werden.
Welche Art von Musik gespielt wurde, spielte ebenfalls eine Rolle bei der Kon-
struktion von Kunst. Dass die dazugehörigen Modalitäten im Vergleich zu anderen
39 Lehmann, Anfang, 100, 102.
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Musizieren als hohe
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Über die Produktion von Tönen
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Title
- Über die Produktion von Tönen
- Subtitle
- Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Author
- Georg Schinko
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20802-0
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
- Category
- Kunst und Kultur