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Es ist ein wahrer Jammer um den häuslichen Musikunterricht. Derselbe liegt zum großen
Teil in den Händen von pädagogisch unerfahrenen Mädchen, die vermöge eines mehrjähri-
gen privaten Unterrichtskurses, mit oder ohne Staatszeugnis, oder auf Grund von Konser-
vatoriumsausbildung sich befähigt glauben, die musikalische Heranbildung zu leiten.56
Eine andere Form der Musikausbildung war das Konservatorium (bzw. später die
Musikakademie). Als zweites Konservatorium der Habsburgermonarchie (nach dem
1811 in Prag gegründeten) wurde 1817 das Konservatorium in Wien von der Gesell-
schaft der Musikfreunde errichtet, nachdem bereits Jahrzehnte zuvor über das Feh-
len einer zeitgemäßen Ausbildungsstätte in der „Musikstadt Wien“ geklagt worden
war.57 Es war die erste (zumindest formal) allgemein zugängliche Ausbildungsstätte,
in der systematischer Musikunterricht angeboten wurde.58 Nachdem das Wiener
Konservatorium bereits ab der Mitte des 19. Jahrhunderts staatlich subventioniert
worden war, wurde es 1909 vollständig als Akademie vom Staat übernommen, wäh-
rend zugleich das Neue Wiener Konservatorium für Musik – zunächst als Privat-
anstalt – gegründet wurde.
Konservatorien und Akademien sollten der Ausbildung von KünstlerInnen dienen
–
sowohl (zumindest in den Anfangszeiten) von künstlerisch tätigen und gebildeten
AmateurInnen als auch von jenen, die das Musizieren zu ihrem Beruf machten.59
Wie Lynn Sargeant am Beispiel Russlands zeigt, standen allerdings die Ansprüche
der BetreiberInnen von Konservatorien und Akademien, die damit die Professio-
nalisierung des Musizierens betreiben wollten, den Absichten der Studierenden,
die sich nicht immer auch als Teil der Musikerprofession verstanden, oftmals ent-
gegen.60 Angesichts der starken Zunahme an Ausbildungsformen und -stätten
wurde von manchen Akteuren die Frage nach den Qualifikationen der Lehrenden
gestellt. Während MusiklehrerInnen an staatlichen Volks- und Mittelschulen eine
Prüfung vor einer Kommission (die sogenannte Staatsprüfung) ablegen mussten,61
waren sowohl das Abhalten von Privatunterricht als auch das Unterrichten an pri-
vaten Musikschulen rechtlich jedem/jeder zugänglich. In der Praxis hatte es sich
allerdings oftmals eingebürgert, dass auch Lehrende im Privatunterricht oder an
Musikschulen die Staatsprüfung mittels einer Sondergenehmigung ablegten, um
56 Flesch, Berufskrankheiten, 205 f.
57 Heller, Konservatorium, 208 ff.
58 Möller, Musiklehranstalten, 5.
59 Fend/Noiray, Introduction, 9.
60 Sargeant, Class.
61 Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Inneres und Unterricht vom 22.
Oktober 1919, StGBl
Nr. 504, mit der eine Prüfungsvorschrift für das Lehramt der Musik an Mittelschulen sowie
Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalten erlassen wird.
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Über die Produktion von Tönen
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Title
- Über die Produktion von Tönen
- Subtitle
- Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Author
- Georg Schinko
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20802-0
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
- Category
- Kunst und Kultur