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© 2021 V&R unipress, Brill Deutschland GmbH
ISBN Print: 9783847113232 – ISBN E-Lib: 9783737013239
mitLiteraturunddem literarischenFeld ausgerichtet ist, undweniger jene, die
vonderWirkungderLektüreundDeutungdesliterarischenTextes–aufwelcher
Ebeneauch immer: emotional, kognitiv,…–profitierenwollen.
Aus demUmgangmit Paratexten lässt sich eine Positionsbestimmung von
Literaturkreisen ableiten, Nähe bzw. Entfernung zu anderen AkteurInnen des
Feldesfeststellen,v.a.zujenen,diealsExpertInnenwahrgenommenwerden.Zur
BewertungvonTextendurchdieLiteraturkritiksetzensichLesekreisedurchwegs
inBeziehung;Fragenwie„WarumlobtendieRezensentendiesesBuch?“tauchen
regelmäßig auf, unabhängig davon, obmandieEinschätzung teilt odernicht.28
DieAbgrenzung vonHerangehensweisen, die als literatur- oder gar sprachwis-
senschaftlichgelten, ist ausgeprägter. IneinemLesekreis,der sichaufgrundder
literaturwissenschaftlichenVorbildungzweierMitgliederundseineranRitualen
der Literaturkritik orientierten Identität weniger am Rand des literarischen
Feldes positioniert als die anderen Kreise, sprechenmanche scherzhaft, aber
demonstrativ freundschaftlichvonLiteraturwissenschaftlerWendelinSchmidt-
Dengler als „der guteWendelin“29.Gleichzeitig zeigt sich, dass eineAneignung
von Inhaltenmisslingen kann, wenn ein Experte lediglich als Legitimationsin-
stanz herangezogen wird, aber der Abstand zum eigenen Können zu groß
empfundenwird: EinMitgliedmöchte ein Zitat des geschätzten Germanisten
vorlesen, „der fürmich so eineAutorität ist beim Literaturbegriff.// Und. Na-
türlich.Wie es der Teufel will, finde ich das jetzt NICHT.“30Dermehrfachen
Aufforderung der anderen Mitglieder, die Ausführungen zu paraphrasieren,
entgegnet sie: „so gescheit formulieren KANN ich das ja nicht. Nicht einmal
nacherzählen.“31
Vor allem in der Bewertung von Sprache und Stil erachtet das Gros der
Gruppen undMitglieder andere als kompetenter, jene, die sich „wirklichmit
Literatur beschäftigen“32. Aussagen wie „es ist wahrscheinlich nicht sehr ger-
manistisch geschrieben“33werden häufig abgeschwächt:Man selbst könne das
schlecht beurteilen. In Bezug auf sprachliche und stilistische Eigenheiten ori-
entierensichinderBeurteilungunsichereMitgliederdurchausanAussagenvon
ExpertInnenoder bereits etabliertenMeinungenundZuschreibungen,manch-
malauchnurinderÜbernahmeeinesEtiketts.SokommentiertetwaeinMitglied:
„sie ist jedenfalls eine Sprachkünstlerin fürmich“,34 nachdemElfriede Jelinek
mittelsWikipedia-Eintrag von einem anderenMitgliedmit diesemWort cha-
28 Sieheu. a.MoserG., „Vergnügen“, diesemBand,S. 95f.
29 Bw4 inG3/D2,Z. 1182.
30 Bw1 inG3/D2,Z. 122.
31 Bw1 inG3/D2,Z. 126.
32 Bw5 inG2/D6,Z. 1515.
33 Bm1 inG1/D1,Z. 552.
34 Bm1 inG1/D3,Z. 147.
LesekreisealsOrtedesWissens 73
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Über Bücher reden
Literaturrezeption in Lesegemeinschaften
- Title
- Über Bücher reden
- Subtitle
- Literaturrezeption in Lesegemeinschaften
- Author
- Doris Moser
- Editor
- Claudia Dürr
- Publisher
- V&R unipress
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-1323-9
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 262
- Category
- Lehrbücher