Page - 156 - in Über Bücher reden - Literaturrezeption in Lesegemeinschaften
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© 2021 V&R unipress, Brill Deutschland GmbH
ISBN Print: 9783847113232 – ISBN E-Lib: 9783737013239
gistriert. Die Rezeption vonDie hellen Tage schwankt zwischen diesen beiden
Polen.InderLesegruppezeigtsicheinenichtganzeindeutige,aberletztlichdoch
negativeTendenz.Das liegt auchdaran,dass imProzessderDiskussion sowohl
dieReferentin(B7)alsauchdieGruppenleiterin(B1), zweiPersönlichkeiten,die
sich gern äußern und erklären, ein negatives Urteil vorlegen, an dem sich die
Verteidigerinnen des Buches (B9, B4, B3) abarbeitenmüssen. Nachweisbar ist
zudem,dassderVerriss vonFessmannsowieHubert SpiegelsRezension inder
FAZ, der das Buch „AnderHoniggrenze“ sieht,40 von zumindest einemGrup-
penmitglied rezipiert worden sind (vgl. G2/D3/B7, Z. 284–295). Im Feuilleton
wird der Begriff „Kitsch“ ins Feld geführt, umeineKlassifizierung als selbiges
umgehend abzustreiten.Die expliziteNegation lässt darauf schließen, dass zu-
mindesteineNähezumKitschgegebenist,wiewohlHubertSpiegelattestiert,der
Romanbalanciere„wagemutigundmitgroßemErzähl-AtemüberdieAbgründe
des Kitsches hinweg.“41 Doch wo die einen der Autorin zugestehen, zwar zu
wanken, aber nicht zu fallen,42 sehen andere wie AndreasWirthenson in der
WienerZeitungdieGrenzeüberschritten.DerRomansei„nichtnurvielzu lang,
sondernerverirrt sichauch immerwieder imKitsch.“43
DerästhetischeGrenzgangzwischenKitschundSchönheit entpuppt sich als
dieentscheidendeFrageimCorpusderLiteraturkritik.DieLesegruppehingegen
verfolgtdiesenAnsatznichtundnimmtBlickwinkelein,die indenRezensionen
vernachlässigt werden. Ausführlich und weitschweifig beschäftigt sie sichmit
inhaltlichenFaktoren,meistkritischgegendenRomangewendet,demEngeder
Verhältnisse (vgl. G2/D3/B1, Z. 378–413), die Vergangenheitsbezogenheit (vgl.
G2/D3/B1, Z. 373, 694–699) undweltflüchtige (vgl. G2/D3/B5, Z. 810–828) Le-
bensuntüchtigkeitderFigurenvorgeworfenwerden(vgl.G2/D3/B1,Z.383,699–
703, auchwidersprechend inZ.511–514, 603).WenigGefallen findet zudemdie
UnbestimmtheitderIch-Erzählerin,dieeinGruppenmitgliedfasziniert (vgl.G2/
D3/B1, Z. 257)–und (ähnlichderKritik vonMeikeFessmann) verärgert: „Sich
selber einfach soweglassen.Dashatmich zornig gemacht.“ (G2/D3/B1, Z. 283)
Auf auffälligeWeise konzentriert sichdie Leserunde auf die Fragenachmögli-
chen lebenspraktischenund-philosophischenErkenntnissen,dieausdemBuch
abstrahiert werden könnten oder die dieses auch verweigert. Das hat auchmit
dem biographischenHintergrund jenes Lesegruppenmitglieds zu tun, das das
Einleitungsreferat hält. Sie ist konfrontiert mit einem schwerwiegenden fami-
liären Problem, einem seit derKindheit schwelendenKonfliktmit derMutter,
der sich inzwischen inderPflegeaktualisiertundverstärkthat.Romanundein
40 Spiegel2011.
41 Ebd.
42 Vgl. ebd.
43 Wirthenson2011. RenateGiacomuzzi /GerdaE.Moser
/VeronikaSchuchter156
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Über Bücher reden
Literaturrezeption in Lesegemeinschaften
- Title
- Über Bücher reden
- Subtitle
- Literaturrezeption in Lesegemeinschaften
- Author
- Doris Moser
- Editor
- Claudia Dürr
- Publisher
- V&R unipress
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-1323-9
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 262
- Category
- Lehrbücher