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1 DIE UMSETZUNG DER THUN-HOHENSTEIN’SCHEN
REFORMEN44
gonnen hatte, gestand Andrian-Werburg aber ein, dass das akademische Stu-
dienleben „gegen meine Studienzeit ein ganz anderes und entschieden bes-
seres [geworden war, C.A.]. Auf diesem Felde wenigstens ist seit 1849 Vieles
und Gutes geleistet worden, und gerade dieses Feld ist ohne allen Zweifel das
wichtigste.“137 Um allerdings sofort einzuschränken: „Thun hat einen großen
Fehler, ein katholischer mystischer unklarer Schwärmer zu seyn, daher Ab-
neigung gegen Alles protestantische und manchmal schwankende Richtung,
ihn dominirt die ultramontane Partey Rauscher, Philipps, Hurter etc.“138
Nur zwei Jahre nach der Entlassung Thuns aus dem Unterrichtsminis-
terium und am Beginn der liberalen Ära machte Eduard Herbst139, liberaler
Abgeordneter im Reichsrat, anlässlich der Debatten des Finanzausschusses
1862 seinem Unmut über die Thun’schen Studienreformen Luft.140 In sei-
ner Wortmeldung machte er Thun mit seinen schwankenden Haltungen für
die angeblich herrschende Misere der Universitäten verantwortlich. Thun,
so Herbst weiter, habe das Bildungssystem germanisiert, zentralisiert und
mehr als alles andere die Universitäten bürokratisiert und durch ständig
neue Erlässe gelähmt. Das Schwanken zwischen Extremen sei typisch ge-
wesen für sein Ministerium und habe die Jugend nachhaltig geschädigt.141
Deutlich sagte er jedoch auch – und dies ist für das harte Urteil wohl mit-
verantwortlich –, dass er die von Thun verweigerte Versetzung von Prag an
die Wiener Universität als persönliche Kränkung empfunden hatte.142 Thun
hatte Herbst nicht berufen, da der Minister keinen weiteren Vertreter des
Naturrechts in Wien haben wollte.143
Joseph Winter sah in Thun unterdessen nicht den Germanisator wie
Herbst, sondern vielmehr habe dessen „Liebäugelei mit den Slawen“144 die
137 Ebenda, Bd. III, S. 150 (Eintrag vom 9.12.1854).
138 Ebenda.
139 Eduard Herbst (Wien 1820–1892 Wien), Jurist und Politiker, ab 1847 Professor an der Uni-
versität Lemberg, ab 1858 an der Karls-Universität Prag, ab 1861 Mitglied des böhmischen
Landtags und des österreichischen Reichsrats, 1867–1870 Justizminister.
140 Vgl. Johann Friedrich scHuLte, Herbst, Eduard, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Leip-
zig 1905, S. 216–217.
141 Interessant ist, dass umgekehrt Johann Friedrich Schulte Herbst selbst ebensolches
Schwanken vorwirft, wenn er schreibt: „Und nach Jahresfrist war plötzlich derselbe Mann,
dem vorher jedes Hofdecret ein Heiligthum gewesen, ein enragirter Liberaler, Constitutio-
neller, Volksführer geworden.“ scHuLte, Herbst, Eduard.
142 Stenographische Protokolle über die Sitzungen des Hauses der Abgeordneten des Österrei-
chischen Reichsrates, I. Session: 29.04.1861–18.12.1862, Bd. 4, Wien 1864, S. 2994–3000.
Lentze sah den Grund für Herbsts Tadel im Übrigen darin, dass die Rechtsphilosophie,
also das Lehrfach von Herbst, „ständig von Thun beschimpft wurde.“ Lentze, Die Universi-
tätsreform des Ministers Graf Leo Thun-Hohenstein, S. 133.
143 Siehe dazu bei goLLer, Naturrecht, Rechtsphilosophie oder Rechtstheorie?, S. 72–73.
144 Joseph winter, Das böhmische Sprachgesetz vom Jahre 1865, in: Mitteilungen des Vereins
Die Universität Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen 1848–1860
Aufbruch in eine neue Zeit
- Title
- Die Universität Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen 1848–1860
- Subtitle
- Aufbruch in eine neue Zeit
- Author
- Christof Aichner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20847-1
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 512
- Keywords
- University of Innsbruck, University Reforms, Thun-Hohenstein, Leo, Universität Innsbruck, Reform, Universitätspolitik, Thun-Hohenstein
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen