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1 DIE UMSETZUNG DER THUN-HOHENSTEIN’SCHEN
REFORMEN54
ten Stürmen ungeschädigt zum Hafen zu gelangen. Es war die seltene Eigen-
schaft dieses ungewöhnlichen Charakters, eigene unerschütterliche Überzeu-
gungstreue mit bedingungsloser Achtung der anderslautenden Überzeugung
anderer zu verbinden.187
Zwar hatte sich schon 1905 Strakosch-Graßmann188 gegen diese „Legenden-
bildung“189 gewehrt, aber auch das Gegenbild, das er entworfen hatte, war
keineswegs frei von einseitigen Urteilen. Bei ihm ist Thun ein Zauderer, der
das Prinzip der Lehr- und Lernfreiheit unterwandert und gleichzeitig den
Einfluss der Kirche auf das Unterrichtswesen zugelassen hatte. Die kriti-
sche Haltung von Strakosch-Graßmann gegenüber Thun speiste sich nicht
zuletzt aus der „Vorliebe für das Slawentum“190, die er bei Thun verortete.
Das Bild des Zauderers Thun, der stark abhängig war von seinen Mitarbei-
tern und Beratern, ist hingegen ein ‚Topos‘, der in der Geschichtsschreibung
zu Thun immer wieder auftaucht und unterschiedlich gedeutet wird. Auch
Heinrich Friedjung191 betont etwa die Abhängigkeit von seinen Mitarbei-
tern.192 Er deutet diese jedoch an anderer Stelle nicht nur negativ, sondern
rechnet es Thun auch an, auf andere gehört zu haben.193 Schon Joseph Win-
ter hatte Thun lediglich als (schlechten) Vollstrecker der Pläne Exners und
Bonitz’ gesehen und glaubte sogar: „Wo immer Graf Leo Thun seine eigenen
Ideen walten ließ, da war es als ob ein Mehltau auf die großen Schöpfungen
jener beiden Männer [Exner und Bonitz, C.A.] niederfiel.“194 Julius Jung195
sieht gerade in der Tatsache, dass Thun die unterschiedlichsten Personen
187 akademiscHer senat der wiener universität (Hg.), Geschichte der Wiener Universität von
1848 bis 1898. Als Huldigungsfestschrift zum Fünfzigjährigen Regierungsjubiläum seiner
K.u.K. Apostolischen Majestät des Kaisers Franz Josef I., Wien 1898, S. 45.
188 Gustav Strakosch-Graßmann (Wien 1869–1941 Wien), Historiker und Lehrer. Zu Stra-
kosch-Graßmann als Bildungs-Historiker vgl. Elmar LecHner, Die Klassiker der österrei-
chischen pädagogischen Historiographie - Karl Wotke und Gustav Starkosch-Graßmann,
in: Elmar Lechner/Helmut Rumpler/Herbert Zdarzil (Hgg.), Zur Geschichte des österrei-
chischen Bildungssystems. Probleme und Perspektiven der Forschung, Wien 1992, S. 117–
142.
189 strakoscH-grassmann, Geschichte des österreichischen Unterrichtswesens, S. 177.
190 strakoscH-grassmann, Geschichte des österreichischen Unterrichtswesens, S. 177, vgl.
auch S. 182–186.
191 Heinrich Friedjung (Roschti 1851–1920 Wien), Historiker und Journalist, ab 1880 zuneh-
mend politisch aktiv und deutschnational engagiert.
192 Siehe Heinrich friedJung, Österreich von 1848 bis 1860, Bd. 1 Die Jahre der Revolution
und der Reform von 1848 bis 1851, Stuttgart, Berlin 1908, S. 329.
193 Heinrich friedJung, Österreich von 1848 bis 1860, Bd. 2, Stuttgart, Berlin 21912, S. 481.
194 winter, Das böhmische Sprachgesetz vom Jahre 1865, S. 119.
195 Julius Jung (Imst 1851–1910 Prag), Historiker, Schüler von Julius Ficker, ab 1877 ao. Prof.
für alte Geschichte an der Universität Prag, ab 1884 o. Prof. ebendort.
Die Universität Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen 1848–1860
Aufbruch in eine neue Zeit
- Title
- Die Universität Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen 1848–1860
- Subtitle
- Aufbruch in eine neue Zeit
- Author
- Christof Aichner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20847-1
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 512
- Keywords
- University of Innsbruck, University Reforms, Thun-Hohenstein, Leo, Universität Innsbruck, Reform, Universitätspolitik, Thun-Hohenstein
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen