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1.3. DIE THUN’SCHEN REFORMEN IN DER FORSCHUNG 57
bende Anerkennung zukommt, bleibt jedoch auch bei Lentze ungebrochen.
Allerdings zeigt er klar, dass Thun nicht rein wissenschaftliches Interesse
mit der Reform verknüpfte, sondern eine geistige Erneuerung Österreichs
anstrebte. Diese Erneuerung sollte durch eine gut ausgebildete Elite er-
folgen: geschult im Geiste der Wissenschaften, jedoch fest verwurzelt im
katholischen Glauben. Wesentlich dabei war eine Personalpolitik, die von
den Kandidaten nicht bloß wissenschaftliche Qualifikation, sondern auch
das katholische Bekenntnis sowie eine konservative Grundeinstellung ver-
langte. Das galt besonders für weltanschaulich wichtige Fächer wie etwa
die Geschichtswissenschaften oder die verschiedenen Philologien. In ande-
ren Fächern ernannte er durchaus auch Protestanten. Auch Lentze betont
den Einfluss der zahlreichen Berater von Thun, an erster Stelle die beiden
Konvertiten Karl Ernst Jarcke209 und George Phillips210. Lentze sieht es als
großes Verdienst Thuns, dass er die Reformen, die größtenteils bereits vor
seiner Ministerzeit vorbereitet worden waren, durchgesetzt und gegen die
Kritiker verteidigt hat. Allerdings sei Thun im eigentlichen Sinne mit sei-
nem Ansatz der Reform gescheitert, denn am Ende war die Kraft der libe-
ralen Reformen zu groß und die angestrebte konservative Erneuerung war
nicht erfolgt. Diesem Urteil schließt sich in der Folge auch Lhotsky an, der
außerdem die Sprengkraft betonte, die den Reformen innewohnte. So war
nämlich gerade die von Thun und seinem Berater George Phillips forcierte
Einführung der deutschen Rechtsgeschichte kein „Erziehungsmittel zum
konservativen Denken“211, sondern diese erwies sich als Instrument der
„‚Propaganda für den Nationalstaatsgedanken des Liberalismus‘“.212
Lentze hat nicht die gesamte Unterrichtsreform untersucht, sondern als
Rechtshistoriker seinen Blick insbesondere auf die juridischen Studien ge-
lenkt und vorwiegend die deutschsprachigen Universitäten behandelt, was
er im Vorwort auch erklärt. Somit ist seine Arbeit zwar die umfassendste,
allerdings nicht vollständig. Als ein weiterer wesentlicher Aspekt, der bisher
wenig beachtet wurde, ist die zeitliche Einbettung von Lentzes Beschäfti-
gung mit dem Thema. Die 1950er- und 1960er-Jahre waren in Österreich,
wie auch in anderen Staaten, Jahrzehnte der Bildungsdebatten und (zag-
209 Karl Ernst Jarcke (Danzig 1801–1852 Wien), Jurist und politischer Publizist, ab 1825 Prof.
für Strafrecht an der Universität Berlin, ab 1832 Rat und Publizist der Staatskanzlei in
Wien, enger Berater von Leo Thun.
210 George Phillips (Königsberg 1804–1872 Aigen bei Salzburg), 1827 Prof. an der Universität
Berlin, 1834 Prof. für Kirchen- und Privatrecht an der Universität München, 1850 Prof. an
der Universität Innsbruck, 1851–1860 Prof. für deutsche Reichs- und Rechtsgeschichte an
der Universität Wien.
211 LHotsky, Das Ende des Josephinismus, S. 289.
212 LHotsky, Das Ende des Josephinismus, S. 289, insgesamt dazu S. 288–289.
Die Universität Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen 1848–1860
Aufbruch in eine neue Zeit
- Title
- Die Universität Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen 1848–1860
- Subtitle
- Aufbruch in eine neue Zeit
- Author
- Christof Aichner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20847-1
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 512
- Keywords
- University of Innsbruck, University Reforms, Thun-Hohenstein, Leo, Universität Innsbruck, Reform, Universitätspolitik, Thun-Hohenstein
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen