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5 DIE PERSONALPOLITIK LEO THUNS AN DER UNIVERSITÄT INNSBRUCK
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lich verliehen werden würde. Er glaubte nämlich, dass Hermann Bonitz in
Wien die Fäden zöge, wenn es um die Ernennung von Philologen ging, und
Bonitz arbeitete aus seiner Sicht damals „aus Leibeskräften dahin, protes-
tantische Professoren ins Land zu bringen“509. Außerdem, so war Goebel
überzeugt, bevorzugte Bonitz seine eigenen Schüler. Zum Beweis für seine
Ansicht führt er an, dass in Wien die Schüler von Bonitz nicht nur die Gym-
nasialzeitschrift, sondern auch die literarischen Beilagen der Wiener Zei-
tung dominieren würden: Die „Clique“ der Bonitz-Schüler, die fast nur aus
Protestanten oder aus „ganz mit protestantischen Ideen angefüllten Katho-
liken“510bestehe, lobe sich in diesen Journalen gegenseitig und schöbe sich
gegenseitig die verschiedensten Posten zu. Außerdem war Goebel überzeugt
davon, dass Friedrich Wilhelm Ritschl511, damals Professor an der Universi-
tät Bonn, Einfluss sowohl auf Bonitz als auch auf Thun ausübe. Kurz: Da er
weder Schüler von Bonitz noch von Ritschl war, machte er sich wenig Hoff-
nungen. Dennoch instruierte er Ficker genau, wie er beim Minister vorzuge-
hen habe, damit er trotz dieser Widrigkeiten eine kleine Chance habe: Ficker
sollte vor allem seine guten Eigenschaften betonen, Thun vermitteln, dass
er in Münster förmlich bedrängt wurde, eine Professur anzustreben und
dass die Zusammenarbeit mit ihm, Goebel, durch die lange Bekanntschaft
sehr fruchtbar zu werden verspreche. Ob Ficker dann abgesehen von der
kurzen Notiz im mehrfach zitierten Brief noch einmal bei Thun vorstellig
wurde, kann heute nicht mehr eruiert werden. Wenn nicht, begnügte sich
Ficker freilich mit einer kurzen Bemerkung und Empfehlung für Goebel und
hatte somit die Wünsche des Freundes nur teilweise erfüllt. Jedenfalls teilte
der Minister Ficker noch im August mit, dass er nicht gedenke Goebel nach
Innsbruck zu berufen. Stattdessen wollte er Johannes Vahlen512 für die Inns-
brucker Universität gewinnen.513 Goebel war offenbar nur wenig enttäuscht,
zumal er Vahlen kannte und meinte: „Gegen Vahlen trat ich gern zurück.“514
Denn er gab unumwunden zu, dass man „einen wissenschaftlich tüchtige-
509 Goebel an Ficker, Wien 05.03.1857, Nachlass Ficker, Institut für Österreichische Ge-
schichtsforschung.
510 Ebenda.
511 Friedrich Ritschl (Großvargula 1806–1876 Leipzig), 1829–1833 Prof. für klassische Philolo-
gie an der Universität Halle, 1833–1839 Prof. an der Universität Breslau, 1839–1865 Prof.
an der Universität Bonn, 1865–1876 Prof. an der Universität Leipzig.
512 Johannes Vahlen (Bonn 1830–1911 Berlin), ab 1856 Prof. der klassischen Philologie an
der Universität Breslau, 1858 Prof. an der Universität Freiburg, 1858–1874 Prof. an der
Universität Wien, 1874–1905 Prof. an der Universität Berlin.
513 Siehe Thun an Ficker, Lungern Kanton Unterwalden 15.08.1857, Nachlass Ficker, Institut
für Österreichische Geschichtsforschung.
514 Goebel an Ficker, o.O. 26.11.[1857], Nachlass Ficker, Institut für Österreichische Ge-
schichtsforschung.
Die Universität Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen 1848–1860
Aufbruch in eine neue Zeit
- Title
- Die Universität Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen 1848–1860
- Subtitle
- Aufbruch in eine neue Zeit
- Author
- Christof Aichner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20847-1
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 512
- Keywords
- University of Innsbruck, University Reforms, Thun-Hohenstein, Leo, Universität Innsbruck, Reform, Universitätspolitik, Thun-Hohenstein
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen