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Des Raphael Hythlodeus Rede über den besten Zustand des
Staates
Die Insel der Utopier hat in der Mitte – da ist sie nämlich am breitesten – eine
Ausdehnung von 200 Meilen, ist über eine große Strecke hin nicht viel
schmäler und nimmt nach den beiden Enden zu allmählich ab. Diese runden
die ganze Insel zu einem Halbkreise von 500 Meilen Umfang ab und geben
ihr die Gestalt des zunehmenden Mondes. Zwischen den beiden Hörnern
befindet sich eine Meeresbucht von etwa elf Meilen Breite. Land umgibt
diese gewaltige Wasserfläche auf allen Seiten und schützt sie vor Winden. Sie
ist weniger stürmisch bewegt und gleicht mehr einem ruhigen See von
ungeheurer Ausdehnung, macht fast die ganze Ausbuchtung des Landes zu
einem Hafen und ermöglicht den Schiffsverkehr nach allen Richtungen.
Die Einfahrt in den Hafen gefährden auf der einen Seite Untiefen und auf
der anderen Klippen. Etwa in der Mitte ragt ein einzelner Felsen empor, der
aber ungefährlich ist. Auf ihm steht ein Turm, in den die Utopier eine
Besatzung gelegt haben. Die übrigen Klippen sind unsichtbar und deshalb
gefährlich. Die Fahrstraßen kennen nur die Eingeborenen, und so kann ein
Ausländer ohne einen Lotsen aus Utopien nur schwer in diese Bucht
eindringen; könnten doch die Utopier selber kaum ohne Gefahr dort
einlaufen, wenn nicht gewisse Seezeichen vom Strande aus die Richtung
angäben, und durch ihre Umsetzung wären sie imstande, jeder auch noch so
großen feindlichen Flotte den Untergang zu bereiten.
Auf der anderen Seite liegen gut besuchte Häfen. Aber überall ist der
Zugang zum Lande so stark durch Natur oder Kunst befestigt, daß auch nur
eine Handvoll Verteidiger selbst gewaltige Truppenmassen abwehren könnte.
Übrigens war dieses Land, wie man berichtet und wie der Augenschein
deutlich zeigt, vor Zeiten noch keine Insel. Vielmehr hat erst Utopus, der als
Eroberer die Insel nach sich benannt hat – bis dahin hieß sie Abraxa – und der
den rohen und unkultivierten Volksstamm in Kultur und Gesittung auf eine
solche Höhe gebracht hat, daß er die übrigen Völker übertrifft, das Land zur
Insel gemacht. Kaum war er nämlich dort gelandet und Herr des Landes
geworden, so ließ er eine Strecke von 15 Meilen auf der Seite, wo die
Halbinsel mit dem Festlande zusammenhing, ausstechen und führte so das
Meer ringsherum. Da er zu dieser Arbeit, um sie nicht als Schmach
empfinden zu lassen, nicht nur die Eingeborenen zwang, sondern außerdem
alle seine Soldaten hinzuzog, verteilte sie sich auf eine gewaltige Menge
Menschen, und so wurde das Werk mit unglaublicher Schnelligkeit vollendet.
Bei den Nachbarvölkern aber, die es anfangs als ein aussichtsloses Beginnen
ins Lächerliche gezogen hatten, erregte der Erfolg Staunen und Schrecken.
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Utopia
- Title
- Utopia
- Author
- Thomas Morus
- Date
- 1516
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 106
- Keywords
- Utopie, Staat, Religion
- Categories
- Weiteres Belletristik